Er kombiniert Talent mit Fleiß und Disziplin Julian Schilling

Julian Schilling aus Laos

Er lebt in einem Männerhaushalt. Seine Mitbewohner heißen Markus, Apollo und Pegasus. Sie sind 13 Jahre alt und streichen ihm liebevoll um die Beine. „Ich habe die drei seitdem sie 5 Wochen alt sind. Apollo hat es ziemlich erwischt. Mit ihm war ich am Wochenende in der Tierklinik.“, sagt Julian Schilling etwas besorgt und gibt dem Kater ein Medikament, das der bereitwillig schluckt. „Sie sind meine Kinder.“, lacht Schilling und streicht seine langen schwarzen Haare von der Schulter.

Julian Schilling stammt aus Vientiane, der Hauptstadt von Laos. Vientiane erstreckt sich in einer üppigen Landschaft über viele Kilometer am Ufer des Mekong. Der Fluss bildet die Landesgrenze zu Thailand. „Wenn Kinder auf der Sandbank spielten und im Fluss schwammen, konnte es passieren, dass die Soldaten auf sie schossen, wenn sie dem thailändischen Territorium zu nahekamen.“, sagt Julian Schilling bewegt. Er vergleicht die Situation im Laos der späten 70er Jahre mit der DDR. Die Familie entschließt sich zur Flucht.

„Wer flüchtet, hat Geld.“, ist Schilling überzeugt. „Auch wenn es nicht viel ist, doch wer flüchtet, muss Schleußer bezahlen. Allein dafür braucht man wenigstens etwas Geld.“ - Zunächst macht sich sein Vater mit den Geschwistern auf den Weg, später folgen der kleine Julian mit seiner Mutter nach Thailand. Dort bleiben können sie nicht. Flüchtlingslager, Singapur, Amsterdam, Frankfurt, Hamburg, Pelzerhaken bei Lübeck. Hier endlich finden die neun Familienmitglieder etwas Ruhe und Julian kommt in die Schule.

„Ich hatte Glück.“, erinnert er sich. „Ingrid Majewski-Bahß, meine Lehrerin hat gesehen, dass ich außergewöhnliche künstlerische Talente hatte.“ Erste Ballettstunden erhält er von Anne Katrin Klaus in Lübeck. Ohne Wissen der Familie fährt er mit seiner Lehrerin nach Hamburg zur Ballettschule. Dort schafft er die Aufnahmeprüfung und bekommt ein Stipendium. „Mein Vater wollte dann wissen, ob ich das wirklich machen möchte. Und, ja, ich wollte tanzen, auf jeden Fall.“ Den klassischen Bühnentanz lernt Julian von 1985 bis 1993 an der Ballettschule des Hamburg Ballett unter Leitung von John Neumeier. Während der Ausbildung lebt er, wie viele Ballettschüler damals, bei Gasteltern in der Hansestadt. Bärbel und Peter Schilling kümmern sich um den Eleven. Er nimmt ihren Namen an und ist bis heute mit ihnen im Kontakt.

Der Weg zum erfolgreichen, professionellen Tänzer verlangt dem jungen Mann vieles ab: Spitzentanz, Pas de deux, klassische und zeitgenössische Variationen sowie Elemente des John Neumeier-Repertoires. Wichtig sind die Ausbildung in moderner Tanztechnik, Tanz-Komposition, Charaktertanz und neben Krafttraining auch Pilates. Anatomie, Musiktheorie und Tanzgeschichte stehen auf dem Stundenplan. Schilling ist ehrgeizig, fleißig, diszipliniert. Seine Laufbahn führt ihn auf viele Bühnen: Kopenhagen, Brüssel, Gent, Den Haag, Amsterdam, London, Wien und New York. Das erste feste Engagement unterschreibt er 1993 an der Semperoper Dresden. Es tanzt am Theater Kassel, am Schauspielhaus Frankfurt/Main und am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. 1997 choreographiert er im Auftrag des Vatikans unter Johannes Paul II. nach Musik von Gustav Mahler und einer literarischen Vorlage von Sergio di Guidi ein "Ballett des Holocaust". Am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin gibt Schilling 2001 sein Debüt in den Rollen des Don José und der Carmen zu Rodian Schtschedrins "Carmen-Suite". Seitdem ist die Landeshauptstadt sein Lebensmittelpunkt.

Den Vorschlag einer japanischen Kollegin, gemeinsam nach Australien zu gehen, verwirft er. „Auch da musst du neu anfangen. Meine leiblichen Eltern lebten in Lübeck und ich wollte gerne in ihrer Nähe sein.“ Schilling entwickelt sich weiter: Balletttänzer, Ballettmeister, Ballettpädagoge, Choreograph, Tanzpädagoge, Inhaber einer Ballettschule in Wismar und Schwerin.

Als Travestiekünstler und Dragqueen „Julie Christelle“ haben ihn Schweriner im Capitol erleben können. „Die Leute sind schon konservativ hier, aber da gingen sie ab!“, lacht er. Auch durch sein Engagement im Schweriner Kultursommer, bei den Schweriner Schlossfestspielen, bei Film-Event, Benefiz-Veranstaltungen und Ausstellungen ist er dabei.

Schilling macht keinen Hehl daraus, dass er nach 2015 das Mecklenburgische Staatstheater nicht mehr betreten hat. Aus seiner Sicht wird in Schwerin nicht genug getan für die Kunst. Für ihn Grund genug, in der Landeshauptstadt zu bleiben und sein eigenes Ding zu machen.

„Die Hoffnung lag im Weg wie eine Falle“ heißt das Tanzstück, mit dem Julian Schilling im September 2020 die Zuschauer im Kulturhaus Mestlin begeistert. Auseinandersetzungen mit ehemaligen Vermietern und Corona machen ihm wirtschaftlich und menschlich zu schaffen. Den Unterricht in der Tanzschule und die Massagen muss er zurückfahren. “Manche Leute zahlen einfach nicht regelmäßig, doch ich muss meine Miete zahlen. Das Finanzamt denkt, ich verdiene Millionen, so ist es aber nicht.“, lächelt Schilling. „Ich habe nichts. Ich bin Künstler und habe gelernt, mit wenig zurecht zu kommen.“

„Meine Seele hat mehr Narben als mein Körper“ schreibt Schilling auf seiner Facebook-Seite und gewährt damit einen Blick auf seine bewegte Vergangenheit und sein Ringen in der Gegenwart. „Ich werde immer tanzen.“, sagt er unmissverständlich. Und es ist klar, die Arbeit an der Vervollkommnung und Perfektionierung der eigenen Leistung hört für ihn nie auf.

http://www.tanzballettschule-julian-schilling.de/ Foto: Anke Berger