Warschau war die Stadt, in die ihr Vater als Mitarbeiter des diplomatischen Dienstes der Volksrepublik Vietnam gegen Ende der Achtziger Jahre entsandt wurde. Die kleine Lan Janet, ihre jüngere Schwester und die Mutter waren natürlich mitgekommen. „Mein Vater wurde dann sehr krank. Er hatte Nierenversagen und die Behandlung in Polen konnte ihn nicht retten. Wir gingen zurück nach Vietnam. Dort starb er.“, sagt Lan Janet Krause.
Einige Jahre später, die Wende ist bereits vollzogen, reist ihre Mutter aus Vietnam zum Besuch einer Tante nach Mecklenburg-Vorpommern. Die Tante war Vertragsarbeiterin in der DDR. Bei diesem Besuch lernt die Mutter den „Herrn Krause“ kennen. Die beiden werden ein Paar und Lan Janets Mutter entscheidet sich 1992 mit der jüngeren Tochter nach Deutschland zu gehen. „Ich besuchte damals schon zur Grundschule. Die sollte ich erst abschließen und solange habe ich bei meinen Großeltern in Hanoi gelebt.“
Im Februar 1996 geht es auch für die elfjährige Ninh Thi Phuong Lan in Richtung Schwerin. Wenige Wochen vor der Abreise erhält sie ein bisschen Deutschunterricht. „Viel hängen geblieben ist davon nicht.“, schmunzelt Krause. „Meine Oma hat mir für den Start in Deutschland 100 US-Dollar mitgegeben. Das war wirklich ganz viel Geld damals. Und sie machte sich ernste Sorgen, dass mir jemand das Geld stehlen könnte.“ So notiert die Großmutter die Seriennummer des Geldscheins, befestigt diesen mit einer Sicherheitsnadel in der Kleidung der Kleinen. „Auf dem Flug hatte ich Angst hatte, dass meine 100 Doller wegkommen und dann gab es zum Essen auch noch bittere Orangenmarmelade. Ich dachte: „Oh mein Gott, jetzt fliegst Du in ein Land, wo das Essen schlecht ist. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, nicht gegessen.“, sagt sie lachend und erzählt dann von dem Zwischenstopp des Flugzeugs in Paris und ihrer Sorge, dass es vielleicht gar nicht nach Deutschland weitergeht. „Die Shoppingmeile im Flughafen war für mich eine Reizüberflutung. Rolltreppen kannte ich nicht. Dort bin fast hingefallen. Zum Glück sagte ein Mädchen, dass der Flug bis Berlin geht. Dort haben mich dann auch alle abgeholt. Das war echt ein großes Abenteuer.“ - Auf dem Weg nach Schwerin liegt Schnee. „Damit ich den Schnee mal anfassen konnte, haben wir angehalten. Bald gab es auch eine warme Jacke.“
In Vietnam hatte sie die 5. Klasse abgeschlossen. „Ich wusste, dass es auf Deutsch zwei Möglichkeiten gibt zu sagen wie man heißt: Mein Name ist Lan oder ich heiße Lan. Das hatte ich echt geübt. Doch als die Lehrerin an der John-Brinckmann-Schule mich fragt, antworte ich „„Mein Name heißt ist Lan. Das war natürlich falsch. Dann hat sie mich in die 3. Klasse eingestuft, damit ich erst einmal Deutsch lerne.“ In Mathematik und Naturwissenschaften aber ist Janet Lan zu dem Zeitpunkt den Mitschülern weit voraus. Zwei Jahre lang ist sie die Größte in der Klasse. Ab der fünften Klasse ist das vorbei. Sie bleibt die Kleinste.
Sie erinnert sich gut an den ersten Schultag. Ihre Eltern bringen sie zur Schule. Den Heimweg sollt sie dann selber finden. Das aber klappt nicht. „Ich stand da, alle Kinder gingen nach Hause. Ich habe den Weg nicht gefunden. Die Lehrerin beauftragte dann einen Jungen, er solle mich begleiten. Aber ich konnte kein Deutsch und wusste nur, ich wohne in Schwerin und an der Haustür steht eine 10. Wie haben erfolglos gesucht. Am Ende sind wir zurück zur Schule und die Lehrerin hat mich dann persönlich nach Hause gebracht. Von da an brachte mich jeden Tag ein anderes Kind bis zur Haustür. Das war toll. Ich hatte wirklich gute Unterstützung durch die Lehrerin und die Mitschüler.“
Sie lernt schnell. Auch Deutsch. Macht auf dem Wirtschaftsgymnasium das Abitur. Danach zieht sie nach Trier, studiert Politikwissenschaften, Betriebswirtschaft und Öffentliches Recht. Sie möchte Französisch lernen, geht für ein Auslandssemester nach Bordeaux, nimmt in Buffalo, New York an einer Simulation zu EU-Themen teil und schreibt ihre Abschlussarbeit über Public Private Partnerships in der Stromversorgung Vietnams am renommierten East-West-Center auf Hawaii. Dort trifft sie unter anderem auf den Dalai Lama.
Erste Berufserfahrung sammelt sie schon während des Studiums eine ganze Menge. Bei der Französischen Außenhandelskammer in Vietnam, der Friedrich-Ebert-Stiftung in Schwerin und in Hanoi. „Als Kind war ich wirklich schüchtern, meine Oma hat gut auf mich aufgepasst. So durfte ich nicht allein ins Kino. Aber später habe ich gemerkt, dass ich überall schnell zu recht komme und dass man Sprachen durch Kommunikation lernt. Und ich habe immer nette, helfende Menschen kennengelernt, die mit weitergeholfen haben.
Eigentlich möchte Lan Janet Krause in den Auswärtigen Dienst. Das hat nicht geklappt. Als Beraterin im Büro der Delegierten der deutschen Wirtschaft hilft sie deutschen Unternehmen bei deren Marktzugang in Vietnam. „Das ist auch ein bisschen Diplomatie.“, sagt sie. „Bei dieser Arbeit konnte ich meine beiden Steckenpferde einsetzten: Deutsch und Vietnamesisch. Und was mir wirklich Spaß macht ist, Brücken zu bauen, als Vermittler zwischen den Wünschen und Mentalitäten der Beteiligten.“
So kommt Krause dann 2015 zur IHK zu Schwerin, beteiligt sich an der Organisation von Exkursionen nach China und in den Iran. Seit 2017 „baut sie Brücken“ zwischen den beteiligten Bundesländern bei der Initiative Pro Metropolregion Hamburg. Mit Partner und Kind fühlt sie sich hier wohl. „Hier ist meine Heimat, hier kenne ich mich aus. Etwas mehr Pepp wäre schön, eine lebendigere Kulturszene und eine Universität in Schwerin.“