Hebron, Ankara, Istanbul, Aachen, Wismar: Schwerin Tharwat Al Jodi aus Palästina

Tharwat Al Jodi, Palästina

„Die einen sagen so, die anderen sagen so.“, meint Tharwat Al Jodi. „Ich habe einen palästinensischen Pass. Viele Länder erkennen Palästina als Staat an. Deutschland nicht. Und so stand in meinen Papieren am Anfang als Staatsangehörigkeit XXX, dreimal X.“

Inzwischen ist der Neurochirurg aus Hebron deutscher Staatsbürger, doch am Anfang war das mit den Behörden und Banken nicht leicht. Wenn Al Jodi seinen Eltern etwas Geld aus Deutschland schicken wollte, hat er „Jordanien“ als Staatsangehörigkeit angegeben, denn „Palästina“ taucht als Staat im Computer gar nicht auf. Aber das ist vorbei.

„Ich hatte heute Nacht Dienst in der Helios-Klinik und bin erst um halb vier ins Bett gegangen.“, sagt Tharwat Al Jodi noch etwas müde zu Beginn unseres Gesprächs. An die Schweriner Klinik kommt er 2015, nachdem er zuvor in Wismar als Neurologe gearbeitet hat.

Bis zu seinem 18. Lebensjahr lebt Al Jodi in seiner Geburtsstadt Hebron. Das war keine gewöhnliche Kindheit. Als er 1982 auf die Welt kommt, greift Israel unter dem Namen „Operation Frieden für Galiläa“ militärisch in den Bürgerkrieg im Libanon ein und besetzt die Hauptstadt Beirut. „In der Region hat es gekracht damals. Daran kann ich mich nicht erinnern, aber daran, dass uns die Eltern erzählt haben, dass es kaum auszuhalten gewesen sei. Und auch die Jahre, an die ich mich erinnern kann, waren geprägt von Krieg, Ungewissheit und wirtschaftlicher Not. Manchmal haben wir die Fenster mit Plastiktüten verdunkelt und in einer Ecke des Zimmers gesessen. Wir Kinder hatten oft Angst.“

Sie sind 5 Jungs und 5 Mädchen, die mit den Eltern und Großeltern zusammenleben. Der Vater ist Schulleiter. Sein Gehalt war nicht hoch. „Wir hatten ein bisschen Land mit Gemüse, Oliven und Datteln. Da mussten auch wir Kinder ran und helfen. Und wenn wir alt genug waren, haben wir auch Geld für die Familie verdient. Ich habe ein Jahr lang in einer Eisfabrik gearbeitet.“, sagt Al Jodi. „Kinder-Luxus kannten wir nicht. Ein Spielzeug, ein Fahrrad, das gab es nicht. Für meine Kinder ist das heute selbstverständlich.“

Der Vater der 10 Geschwister wäre gerne Arzt geworden. Er hatte 1967 das beste Abitur weit und breit und ein Stipendium für die Universität in Beirut. Bei Ausbruch des 6-Tage-Kriegs hat ihn sein Vater nach Hause zurückgeholt. Eine zweite Chance gab es nicht.

Er wurde Lehrer. Später war es ihm wichtig, dass alle seine Kinder einen guten Weg machen. „Unser Vater war sehr diszipliniert und hat uns gut erzogen. Wir waren fast alle fleißig, haben ein gutes Abitur gemacht und sind alle 10 an die Universität gegangen. Weil wir gute Noten hatten, bekamen wir Stipendien.“, so Tharwat Al Jodi. Vier der Kinder werden Mediziner, ein Bruder wird Professor für IT-Sicherheit, 3 Schwestern werden Lehrerinnen, eine Schwester wird Krankenschwester und eine IT-Ingenieurin. Heute leben sie in Katar, den USA, in Jordanien, Abu Dhabi, Palästina und Deutschland. „Wir treffen uns in der Regel im Sommer für 3 Wochen in Palästina, das planen alle Geschwister so ein. Dieses Jahr geht das natürlich nicht. Wenn Reisen später im Jahr wieder möglich ist, werde ich mit meiner Frau und unsren Kindern zu meinen Eltern fahren.

Al Jodi erhält ein Stipendium zum Studium in der Türkei. 2001 lernt der 18jährige in Ankara ein Jahr lang Türkisch. Dann beginnt er das Medizinstudium in Istanbul. „Das war eine besondere Zeit für mich. Wir waren viele Ausländer im Studium. Uns Palästinenser haben viele Leute dort unterstützt. Für mich war es die schönste Zeit auf der Welt. Kein Krieg, kein psychischer Druck, kein Geld nebenbei verdienen müssen, keine Angst vor Verhaftungen. Ich habe das erste Mal wirklich frei atmen und auch sorgenfrei lernen können.“

Das Praxisjahr absolviert Al Jodi ab 2007 in Hebron. Anschließend ist er praktischer Arzt in Ramallah und Hebron in der mobilen Klink der ‚Palestinian Medical Relief Society‘, einer aus Europa unterstützten gemeinnützigen Organisation, die in den Dörfern die Menschen Medizinisch versorgt. Anfang 2011 spezialisiert er sich in Istanbul als Kinderarzt.

Am Bosporus entsteht die Idee in Deutschland tätig zu werden. Aber erst, muss Al Jodi wieder auf die Schulbank. In Aachen büffelt er Deutsch. Im Januar 2013 stellt er sich in Wismar am Sana HANSE-Klinikum vor. „Ihr Deutsch ist nicht perfekt.“ sagte der Chefarzt, Andreas Stiebler, aber ich sehe Ihr Potential und möchte gerne mit Ihnen arbeiten.“ Und so bleibt Tharwat Al Jodi mit seiner Familie zunächst in Wismar.

In Schwerin lebt die Familie in Friedrichsthal. Seine Frau ist Zahnärztin. „Meine Frau trägt oft ihr Kopftuch. Damit ist sie an Anfang unser Schweriner Zeit auch einmal belästigt worden und hatte es schwer, einen Job in der Landeshauptstadt zu finden. Sie ist heute in einer Praxis angestellt. Unsere Kinder sind Mecklenburger.“, lächelt Al Jodi und freut sich auf den ersten Schultag seiner Tochter am Ende des Sommers. Der Sohn muss noch ein Jahr