In Schwerin fehlt der Pfiff Antonio Lecce aus Italien
Michelangelo in der Schokoladenmanufaktur DOLCI NOTE
„Mein Vater hat gedacht, aus mir könnte ein zweiter Michelangelo werden! Das war mein Ding: Malen, Zeichnen“, sagt Antonio Lecce und zeigt auf ein Gemälde an der Wand in seinem kleinen Restaurant. Es zeigt eine Kopie der bekanntesten bildlichen Darstellung der Delphischen Sibylle, die in Delphi als Prophetin gewahrsagt haben soll. Das Original hängt in der Sixtinischen Kapelle, die Kopie in der „Ersten Schweriner Schokoladenmanufaktur DOLCI NOTE“. Die Szene auf der Leinwand im Format 2,40 Meter x 2 Meter versetzt den Betrachter im Nu in das historische Italien, in die Heimat von Antonio Lecce (52) und Michelangelo (1475-1564). Michelangelo Buonarroti gilt als einer der bedeutendsten Künstler der italienischen Hochrenaissance und weit darüber hinaus. „Bei meinen Eltern habe ich noch ein paar Bilder. Nicht so groß und nicht alle sind fertig. Auch ein paar Skulpturen aus Stein habe ich damals gemacht. Aber dann bin ich Koch geworden.“, ergänzt er und lacht.
„Apulien ist die Karibik Europas, ist die schönste Region der Welt“, schwärmt Lecce von dem Landstrich am südlichen „Stiefel“ und zeigt Fotos von weißen Stränden, türkisblauem Meer. Er war vor einigen Tagen dort. Als ältester von fünf Kindern besucht er seine Eltern wenigstens zwei, drei Mal im Jahr. Sie waren auch schon in Schwerin. „Es hat ihnen gut gefallen, aber meine Mutter ist jetzt 84 und mag die weiter Reise nicht mehr machen.“ Meist fahren Antonio und seine Partnerin Anna mit dem Auto die 2.200 km. „Morgens los und eine Nacht bei meiner Schwester in Reggio Emilia. Das klappt ganz gut und man kann viele Dinge mitnehmen von hier und von dort.“ Die Familie hat eine Olivenplantage nahe Tarent.
Wie einen Fußballspieler: Sein Chef leiht ihn aus
Lecce ist ein Vollblut-Gastronom. Seine praktische Ausbildung als Koch und Konditor hat er im Hotel Eden Park an der Marina de Pulsano in Apulien gemacht. „Damals war es das beste Hotel weit und breit. Da kamen sie alle, Stars, Politiker. Einfach alle.“, so Lecce, “Ich habe da viel gelernt, weil wir alles selber gemacht haben: schlachten, Wurst machen, kochen, backen und noch mehr.“ Und Antonio Lecce hatte Talent. Recht bald wurde er von seinem Chef an andere Häuser geschickt, um dort neue Mitarbeiter auszubilden. “Wie einen Fußballspieler hat mich der Chef mal hierhin und mal dorthin ausgeliehen.“, schmunzelt er.
So kam er 1996 mit 29 Jahren auch nach Schwerin. „Ich wollte unbedingt nach Deutschland. Bei uns hieß es, die Deutschen sind immer präzise, sauber und nie zu spät. Ich war fasziniert und wollte sehen, ob die Deutschen wirklich so sind.“ - „Hier ist ja alles kaputt““, dachte er bei seiner Ankunft in der Stadt, als er die Fassaden der Häuser sah, und konnte sich nicht vorstellen zu bleiben. Doch er blieb.
Mittlerweile ist er 23 Jahre hier. Zunächst hat er für einige Monate lang anderen Fachkräften in der hiesigen Gastronomie beigebracht, was Cucina Italiana, die wirkliche italienische Küche, ist. Und dann hat er sich mit einem eigenen Restaurant selbstständig gemacht.
Seine Vorstellungen von den Deutschen haben sich bestätigt, meint er. „Aber ich habe auch eine andere Seite kennengelernt, die wir im Fernseher nicht gesehen haben. Leute, die auf der Straße schlafen, deren Leben nur aus Trinken besteht, und Autos werden geklaut, in Wohnungen wird eingebrochen. Es ist also wie überall. Nur die Korruption ist hier nicht so stark. - Und Schwerin hat sich ja auch toll entwickelt, doch irgendwie fehlt noch der Pfiff. Ehrlich, wären das Wasser und Seen nicht gewesen, vielleicht wäre ich wieder gegangen. Heute entdecke ich nach mehr als 20 Jahre hier immer noch etwas Neues.“
Baustellen zehren an den Nerven und gehen ins Geld
Es gibt keinen Zweifel. Antonio Lecce ist auch Künstler, an der Leinwand, am Herd, in seiner Schokoladenmanufaktur und im Leben. Er hat ein Faible für das Nichtalltägliche und das Ausprobieren neuer Gerichte. Und er sucht sich neue Wege, wenn es auf dem alten Pfad mal nicht weitergeht. „Das letzte Jahr war schlimm.“, sagt er und man sieht ihm an, da war etwas. Viele Schweriner wissen, dass die Baumaßnahmen am Großer Moor den Gewerbetreibenden dort einiges abverlangt haben. Die Kunden bleiben aus. „Andere hätten sicher schon zugemacht, Aber ich habe weitergemacht, investiert und einen mobilen Eiswagen gekauft. In der Schmiedestraße durfte ich eine Zeit lang damit stehen. So bin ich dann fast auf Null gekommen.“ Optimistisch ist er auch und plant für den Sommer 2019 mit seinem Nachbarn, Rainer aus der Gaststatte „KNEIPE Nr. 7,“ die Gäste auf der Terrasse gemeinsam zu bewirten.
Und dann ist da noch die „Cioccoliata“. Seine besondere Kreation: eine handgemachte Schokolade mit feinstem Olivenöl. „Die würde ich gerne gut in den Schweriner Geschäften platzieren. Das wäre schön.“, sagt Lecce und zeigt auf eine Auswahl verschiedener Sorten der Leckerei.
Gäste bewirten und Jagen
Und später? Wo sieht er sich in der Zukunft? „Hier ist Zuhause und dort ist Zuhause. Wenn Gott will und ich etwas Glück habe, dann möchte ich im Winter hier in Schwerin Schokolade produzieren und zur Jagd gehen und den Sommer in Italien verbringen. Dort ein hübsches, altes Gebäude kaufen, sanieren und etwas Schönes daraus machen. Dann Gäste in ein paar Ferienwohnungen betreuen. Das ist so ein Traum von mir und Anna.“ Die Prüfung zum Jagdschein des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat er bereits bestanden. Warum soll es mit dem Rest des Traums nicht auch noch klappen.
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-04-30.
Länderinfo Italien
Die Italienische Republik liegt im Süden Europas auf einer von Nordwest nach Südost gerichteten Halbinsel, deren Form an einen „Stiefel“ erinnert.
Heimat für 60 Millionen Einwohner: im Norden die Alpen, im Süden Inseln wie Pantelleria und Lampedusa, die geologisch bereits zu Afrika gehören und insgesamt rund 7.600 Kilometer Küste. Die Küste ist es auch, die Menschen auf der Flucht aus Afrika und dem Nahen Osten anzieht. Die anhaltendende Uneinigkeit in Fragen der europäischen Einwanderungspolitik wirkt auf die italienische Innenpolitik. Ein Rechtsruck bei den Wahlen 2018 war die Folge. In der Hauptstadt Rom, der „ewigen Stadt“ regiert seitdem ein Bündnis aus der europaskeptischen „Fünf-Sterne-Bewegung“ und der „Lega Nord“, die zeitweilig die Abspaltung des wohlhabenden Norditalien vom deutlich ärmeren Süditalien verfolgte.
Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist hoch verschuldet und hat traditionell eine starke Schattenwirtschaft, die auf ca. 17% des Bruttoinlandsprodukts geschätzt wird. Italien ist Gründungsmitglied der Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (Vorläufer der EU) und Mitglied der NATO.
Weine, Olivenöl, Parmesan, Rucola, Fiat, Gucci, Spagetti, Lavazza und Ferrero sind nur einige der Dinge, die viele hier im Norden mit „bella Italia“ verbinden. Malerei, Architektur, Film, Fußball, Mode und Design, kaum ein Metier, in dem Italiener nicht prägend waren in der Welt. Die Musik natürlich: Opern von Verdi und Puccini stehen auf dem Programm der Schlossfestspiele. Aber wer weiß schon, dass auch Christoph Kolumbus auch Italiener war.