Geht nicht, gibt's bei ihr nicht Laima Möller aus Litauen
Haben Sie schon einmal davon geträumt, dass Sie problemlos mit allen Menschen auf der Welt in nur einer Sprache sprechen können? Das war der Traum der jungen Laima aus der kleinen Stadt Janova bei Kaunas in Litauen. Darum begann sie vor mehr als 45 Jahren „Esperanto“ zu lernen. Esperanto ist keine natürlich entstandene, sondern eine künstlich geplante Sprache. „Wir hatten mit Esperanto ein Fenster zum Ausland“, sagt sie.
1887 wurden die Grundlagen dieser Kunstsprache von Ludwik Lejzer Zamenhof veröffentlicht. Zamenhofs Pseudonym war „Doktor Esperanto“ („Doktor Hoffender“) und es wurde zum Namensgeber der Sprache. Etwa 1 Million „Esperantisten“ gibt es weltweit. 1972 wird Edgar Möller aus Schwerin, DDR, ihr Briefpartner. Sie kann kein Deutsch, er kein Litauisch oder Russisch. Die jungen Leute schreiben sich also viele Jahre in Esperanto.
Die junge Litauerin wird Bibliothekarin. Die Arbeitszeiten von 13 -20 Uhr in der Bibliothek gefallen der Mutter von zwei Kindern nicht. „Eine Nachbarin sagte zu mir ‚Laima, die vielen Kinder hier auf dem Hof können Dir auf dem Kopf scheißen und Du bleibst immer noch ruhig. Warum gehst Du nicht in den Kindergarten der Möbelfarbik?“. Und genau das macht sie. Ein paar Jahre später wird sie dort Chefin. Unfreiwillig, wie sie sagt. „Ich wollte den Job nicht! Leiterin des Kindergartens mit 23 Weibern! Aber das wurde einfach beschlossen.“, lacht sie. „Und es hat ja auch geklappt!“
Von der Idee der verbindenden Sprache ist sie weiterhin begeistert. Sie bietet in ihrer Stadt einen „Esperanto-Sprachkurs“ an. „Naja, dann erhielt ich einen Anruf, ich solle beim KGB (dem damaligen sowjetischen Geheimdienst) erscheinen. Die wollten alle Namen der Teilnehmer haben. Aber ich war mir sicher, die hatte der KGB bereits, und habe meinen Kursteilnehmern von dem Gespräch erzählt. Danach hat mich der KGB in Ruhe gelassen!“, schmunzelt sie.
Ihre Ehe wird geschieden. Laima Krivikiene putzt einmal pro Woche neben ihrem Job im Kindergarten. „Du hast studiert und putzt? wurde ich gefragt. Aber ich wollte essen, reisen und etwas sparen. Dann musst Du etwas tun und Putzen war für mich völlig in Ordnung.“
Sylvester 1990/1991 konnten wir erstmals aus Litauen zu einen Esperantistentreffen nach Kassel fahren. „Gott sein Dank gab es damals Gorbatschow!“, sagt sie und beschreibt die Freude, Menschen aus Ländern wie Israel, Brasilien, Frankreich und Italien zu treffen und sich mit ihnen verständigen zu können. „Für die waren wir ziemliche Exoten. Neun Leute aus der Sowjetunion, die ein Musik- und Tanzprogramm in litauischen Trachten aufführten.“ Nach dem Treffen fährt sie zu Freunden nach Hamburg, nach Schleswig-Holstein und auch zu ihrem Brieffreund Edgar in Schwerin. Schon vor der Wende war sie mehrfach in Schwerin gewesen und Edgar auch in Litauen. Dieses Mal aber macht er ihr einen Heiratsantrag. „Was sollte ich hier tun? Als Bibliothekarin mit Esperanto, Russisch, Litauisch. Das brauchte hier kein Mensch. Und ich habe meine Kinder gefragt. Die waren damals 6 und 8 Jahre alt. Mein Sohn dachte an das viele Spielzeug hier und wollte bleiben. Wir konnten es ja probieren und falls es nicht klappt, zurück nach Litauen gehen.“
Laima Krivikiene ruft ihre Personalchefin an und verlängert ihren Urlaub. Auch das Visum wird verlängert. Der Papierkrieg hält sie für Wochen in Atem. Am Ende klappt es. Sie heiratet Edgar Möller und sie bleibt. „Meine Mutter hat mich für verrückt erklärt.“, sagt sie und beschreibt ihre erste Zeit hier in Schwerin: “Frühmorgens die Schweriner Volkszeitung austragen, obwohl die mich erst nicht nehmen wollten. Ich sprach ja kein Deutsch. Aber ich konnte die Buchstaben lesen und natürlich auch die Hausnummern!“, lacht sie, „danach ging ich putzen für ein kleines Reinigungsunternehmen in Raben-Steinfeld.“ Ihre damalige Chefin hat ihr viel geholfen, betont sie. Die schickt Laima Möller auch nach Hannover zur Vorbereitung auf die Gesellenprüfung als „Gebäudereinigerin“. „Na das war komisch. „Putzfrau lernen“ und Prüfung machen. Im Lehrgang waren nur Männer, die „Putzfrau“ werden wollten.“ amüsiert sie sich noch heute. „Die wollten sogar einen „Meisterbrief“ machen.“ Und das wird auch ihr Metier. Sie besteht die Gesellenprüfung - so mit Ach und Krach – und besucht den Meisterlehrgang. Der kostet sie rund 20.000 DM. Zum Glück bekommt sie „Meister-BAFöG“ als Darlehen, das sie in fünf Jahren zurückbezahlt. Ihr Mann Edgar stirbt an Krebs an dem Tag, an dem sie sich 1996 selbstständig macht. „Das war nicht leicht.“, sagt Möller. Aber sie ist ihren Weg gegangen.
„Meine deutschen Freunde sagen mir zu oft‚ das geht nicht‘. Oder sie fragen ‚was ist, wenn was passiert?‘ Ich frage mich, was soll schon passieren? Mein Motto ist: geht nicht, gibt’s nicht‘. Und das habe ich wirklich gelernt: wer viel arbeitet kann auch viel erreichen!“
Heute beschäftigt sie 11 Mitarbeiterinnen und 2 Mitarbeiter. Sie zahlt nach Tarif und macht im November am „Weltputzfrauentag“ mit allen gemeinsam einen Betriebsausflug. 80% ihrer Kunden sind Privathaushalte. „Da freuen sich die Leute, wenn wir kommen und sie im Haushalt unterstützen. Ich organisiere mehr, aber ab und zu putze ich auch Fenster, das mache ich gern. Man sieht sofort ein Ergebnis.“
In Schwerin liebt sie die Orte am Wasser und findet, dass Schwerin zu wenig aus sich macht. „Meinen Kindern habe ich aber gesagt, wenn ihr mit der Schule fertig seid, dann haut ab nach Westen. Da sind die Löhne besser. Davon wird auch die Rente berechnet. Die sind in München und in Köln. Trotz der 30 Jahre Arbeit hier und 19 Jahre in Litauen wäre ich ohne die Witwenrente ein Sozialfall.“ So langsam möchte sie das Unternehmen verkaufen und sucht einen Nachfolger.
Laima Möller hilft bei der Bahnhofsmission, engagiert sich bei „Die Platte lebt e.V. „Ich kann nicht nur nehmen. Ich möchte auch was geben!“, lacht sie und gibt allen Migranten den Rat: „Geht raus vor die Tür, sucht Kontakt mit den Menschen hier, steckt Eure Nasen überall rein! Wenn jemand Hunger hat, gib ihm keinen Fisch, gib ihm eine Angel!“, sprüht sie vor Energie. „Ni iru“ – Auf geht‘s!
Dieser Artikel ist auch (gekürzt) erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ am 2019-06-11: https://www.svz.de/lokales/zeitung-fuer-die-landeshauptstadt/geht-nicht-gibts-bei-ihr-nicht-id24221187.html
Länderinfo Litauen
Die Republik Litauen ist der südlichste der drei Baltikumsstaaten.
Die ehemalige Sowjetrepublik liegt an der Ostsee und grenzt an Polen, Lettland und Weißrussland. Die Hauptstadt Vilnius – mit ihrer mittelalterlichen Altstadt auch Rom des Ostens genannt - ist Regierungssitz. Mit 1,4 Millionen Einwohnern lebt hier fast die Hälfte der Bevölkerung. Litauen ist Produktionsstandort zahlreicher internationaler Unternehmen. Obwohl die Wirtschaft des Landes wächst, schrumpft die Bevölkerung von 3,7 Millionen 1990 auf heute unter 2,8 Millionen. Viele Litauer wandern in andere europäische Staaten aus. Litauen orientiert sich seit dem Ende der Sowjetunion nach Westen und ist Mitglied der EU und der NATO. Darin begründet sich das Spannungsverhältnis zu Russland.