Statt nach Sofia ging es mit dem Zug nach Schwerin Mohamad Solh aus dem Libanon
Zur Berufsausbildung in die DDR
Er ging erst zwei Jahre in die Schule, als im April 1975 der Bürgerkrieg ausbrach, der 25 Jahre dauern sollte. „Schulranzen, Spielzeug, das hatten wir damals nicht. Wir sind sooft vor den Angriffen nach Syrien geflohen und dann wieder nach Ba’albek zurückgekehrt, da waren solche Dinge nicht wichtig“, sagt Mohamad Solh nachdenklich, wenn er an seine Kindheit und Jugend in der Beeka-Ebene zurückdenkt. „Es ging oft einfach um das Überleben.“ Und so hat Mohamad Solh auch früh begonnen zu arbeiten. Mit 18 Jahren war er Fahrer eines Funktionärs der PLO und hatte Glück, als ihm angeboten wurde, in Bulgarien den Beruf des Automechanikers zu erlernen. Er nahm an, stieg ins Flugzeug und landete in Berlin-Schönefeld.
Statt nach Sofia ging es mit dem Zug nach Schwerin. Vier Monate dauerte der Sprachkurs, 2 Jahre die Ausbildung zum Facharbeiter für Nachrichtentechnik in der Postschule auf der Krösnitz. „Das war eine unerwartete Entwicklung. In der DDR lebte man in Frieden und Sicherheit, mit einer beruflichen Perspektive. Das kannte ich nicht. Anfangs wohnten wir mit 11 jungen Männern in der Schlossgartenallee. Wir hatten einen netten Betreuer, der sich sehr um uns gekümmert hat. Wenn wir Musik aus dem Westen gehört haben, war das Radio allerdings schnell wieder aus. 1987 zogen wir ins Internat auf dem Dreesch. Dort lebten auch Vietnamesen, die in den Lederwerken arbeiteten und Afrikaner, die im Kabelwerk beschäftigt waren. Nach der Lehre musste ich dann in den Libanon. Dafür hatte ich ja das Stipendium, war als Fachkraft ausgebildet worden. Aber da gab es ein Problem.“ schmunzelt Solh. Seine Freundin Iris, eine Schwerinerin, war schwanger. Die beiden erwarteten ihr erstes Kind. Es half nichts. 6 Monate blieb er im Libanon, bevor er per Familienzusammenführung wieder in die DDR zurückkonnte. „Da war ich erst einmal vier Wochen in einer Art Aufnahmelager bei Berlin, wurde wieder und wieder befragt, ja verhört. Was ich denn in der DDR wirklich wolle? - Aber das war klar, ich wollte wieder nach Schwerin zu Iris. Einige der Leute mussten tatsächlich die DDR wieder verlassen. Ich durfte bleiben.“ Geheiratet wurde im Standesamt am Schweriner Pfaffenteich und Tochter Laila kam im Sommer 1987 zur Welt.
Keine Ausländer im Fernmeldeamt
„Gerne hätte ich im Fernmeldeamt als Nachrichtentechniker gearbeitet. Doch als Ausländer war das nicht erlaubt. Ich hätte im Briefzentrum anfangen können Das war aber nichts für mich. Da ging ich lieber erst einmal auf den Bau und später, ab 1989, arbeitete ich bei den VE Kombinaten und Betrieben des Kraftverkehrs Schwerin. Gut ein Jahr später, am im April 1990 wurde ich dann Bürger der DDR. Einfach so. Einen Antrag habe ich damals nicht gestellt. Vielleicht hing das auch mit der damaligen Zeit zusammen.“, meint Solh, für den das Leben nach der Wende durchaus turbulent weiterging.
„Gemeinsam mit Ataya, einem Freund, organisierten wir einen Pizza-Service. Und das waren goldenen Zeiten!“, lacht er und erzählt, dass er als Kind den Spitznamen „Ajoub“ erhielt. Nach dem Propheten Ajoub. Das heißt Geduld. „Ajoubs-Pizza-Erpress hieß mein Geschäft. Vier Filialen, auch in Ludwigslust und in Bruel. Wir hatten viel zu tun und haben eine Menge Leute beschäftigt. Bis Ende der Neunziger. Dann hat eine Steuerrechtsänderung unsere Kosten nach oben getrieben und es lohnte sich nicht mehr.“
1994 kam die zweite Tochter, Sara, zur Welt. 1996 ging die Ehe auseinander, Mohamad und Iris trennten sich. Seine zweite Ehefrau, Fatme, Palästinenserin, lernt Solh während einer Reise in den Libanon kennen. Sie heiraten 1998. Bald darauf kommt Tochter Nummer drei, Naval, zur Welt. Die heute 20Jährige studiert Politik in Nancy, Frankreich. Es folgen Cofrahn, Kassem, Rima und Mazen. Auf seine Kinder lässt Mohamad Solh nichts kommen. „Es sind alle tolle Kinder, die ihren Weg machen. Schade ist, dass sie in Schwerin nicht studieren können.“ Und er spricht von seinen beiden großen Töchtern und den vier Enkeln. Spätestens da ist klar, Mohamad Sohl (57) ist ein Familienmensch.
Pizza, Versicherung und Übersetzen
Und er ist vielseitig, einer der nicht aufgibt, sondern nach neuen Wegen sucht. Nach dem Ende des Pizza-Services sattelt er um. Solh wird Mitarbeiter einer Versicherung, setzt sich erneut auf die Schulbank, absolviert die Prüfung zum Versicherungsfachmann BWV und baut nebenbei seine Tätigkeit als Dolmetscher „Deutsch-Arabisch“ aus. Nach rund sieben Jahren in der Versicherungsbranche ist es für ihn genug. 2009 eröffnet er das „Handyland“ am Platz der Freiheit.
Die Übersetzungsarbeit setzt er fort. Sie entwickelt sich zu seiner Haupttätigkeit. Ab 2014 wird er im Aufnahmelager Nostorf-Horst und anderswo als Sprachmittler immer häufiger angefragt. Inzwischen hat er eine Zulassung des BAMF und ist auch vor Gerichten und für die Landespolizei Rostock tätig. „Es sind alle Themen, die das Leben betreffen. Rechtstreitigkeiten, Behördenangelegenheiten, Krankenhausaufenthalte. Und es ist eine gute Aufgabe, bei der ich vielen Menschen aus dem arabischen Sprachraum helfen kann.“ sagt Solh. Zum letzten Mal war er mit der Familie zum Urlaub bei Freunden und Verwandten 2006 im Libanon. „Das war keine gute Zeit. 3 Tage lang fielen die Bomben. Alle Mann sind wir für eine Woche nach Syrien geflohen und haben uns dann auf dem Rückweg nach Deutschland gemacht. Mit den Kindern traue ich mich da nicht mehr hin. Ich würde ihnen gerne zeigen, woher ich komme, aber solange sich die Lage dort nicht ändert, lieber nicht.“, sagt er sichtlich berührt. „In Schwerin leben wir gerne, hier ist es friedlich und sicher. Ich habe Arbeit und muss mir keine Sorgen um die Kinder machen. Seit es mehr Menschen aus Syrien in der Stadt gibt, ist das Angebot an arabischen Lebensmitteln größer geworden und es ist mehr los. Ich denke, dass ich mich in der CDU engagiere und für eine Universität in Schwerin einsetzte, damit unsere Kinder nicht fortgehen müssen und mehr junge Leute hierherkommen.“ - Wenn er seinen Kindern einen schönen Ort zeigen möchte, gehen sie an den Franzosenweg und zur Schlossgartenallee. Dahin, wo für ihn in Schwerin alles anfing.“
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-02-15
Länderinfo Libanon
Der Libanon, liegt in Vorderasien am Mittelmeer. Im Norden und Osten grenzt der Staat an Syrien, im Süden an Israel. Etwa die Hälfte der rund 6 Millionen Libanesen lebt im Bezirk der Hauptstadt Beirut. Kein Land der Welt hat im Verhältnis zur Zahl seiner Einwohner mehr Flüchtlinge aufgenommen: Mehr als 1 Million seit 2015 aus Syrien. Hinzukommen etwa 460.000 Palästinenser und 32.000 Iraker, die bereits zuvor Schutz im Libanon suchten.
Die innenpolitische Lage der Libanesischen Republik, einer parlamentarischen Demokratie, ist sehr komplex und wenig stabil. Mehrere Präsidenten, Ministerpräsidenten und andere Politiker wurden während oder nach ihrer Amtszeit ermordet. Bürgerkriege und Auseinandersetzungen mit Israel prägen das Land seit vielen Jahrzehnten.
Die vier höchsten Staatsämter sind Mitgliedern bestimmter, unterschiedlicher religiöser Gruppen vorbehalten. So wird versucht, Konflikte zwischen den Konfessionen zu vermeiden. So muss das Staatsoberhaupt maronitischer Christ, der Parlamentspräsident schiitischer Muslim, der Regierungschef sunnitischer Muslim und der Oberbefehlshaber der Armee Christ sein.