Ein „Anywhere“ vom Himalaya Paras Bakshi aus Indien
Der englische Publizist David Goodhart unterscheidet „SOMEWHERES“ – gemeint sind „Dagebliebene“ und „ANYWHERES“ – im Sinne von „irgendwo und überall“. Die „SOMEWHERES“ sind diejenigen, die aus unterschiedlichen Gründen ihr Leben an ein und demselben Ort verbringen. Die „ANYWHERES“ gelten als Kosmopoliten. Sie leben und arbeiten mal hier mal da, sind ortsungebunden, kommen überall in der Welt zurecht.
Auf dem Weg zum Kosmopoliten
Paras Bakshi ist wohl ein „ANYWHERE“. Er stammt aus Chamba, einer Stadt mit 20.000 Einwohnern in dem kleinen indischen Bundesstaat Himachal Pradesh. Die Fotos, die er aus seiner Heimat zeigt, erinnern an eine Idylle in den Alpen: schneebedeckte Berggipfel, grüne Nadelwälder, saftige Wiesen, Seen, Flüsse und weidende Schafe vor kleinen Fachwerkhäusern. Geographisch liegt Chamba am Vorderen Himalaya, im Norden Indiens, der an Tibet grenzt.
Mit 15 verlässt Bakshi den Heimatort, mit 17 Jahren beginnt der heute 25jährige das Informatikstudium. Nach zwei Jahren an der Universität von Chandigarh, Hauptstadt der beiden indischen Bundesstaaten Punjab und Haryana, und zwei weiteren Jahren in Seoul, Südkorea, hat er den Abschluss „Bachelor of Science (B.Sc.) Computer Engineering“ in der Tasche und bereits einige Jahre Lebenserfahrung außerhalb des Elternhauses gesammelt.
In Seoul startet der junge Absolvent bei ATOS, einem der weltweit führenden Anbieter für IT-Dienstleistungen mit 120.000 Mitarbeitern in 73 Ländern, seine berufliche Karriere. Er spezialisiert sich auf SAP-Anwendungen im Bereich der industriellen Produktion. SAP, eine Software mit Ursprung in Hoffenheim, Deutschland, wird in zahlreichen Unternehmen rund um den Globus eingesetzt. Zu den Kunden, die Paras Bakshi für ATOS betreut, gehört auch der Ableger der VOLVO Group in Südkorea. Hierhin wechselt der junge SAP ME/MII Consultant und sammelt weitere Erfahrungen als Berater für die komplexe Software.
Sein Beruf und seine Reisen führen den jungen IT-Experten in zahlreiche Länder, darunter die Niederlande, Deutschland, China, Malaysia, Singapore und im August 2018 dann nach Schwerin. Er wollte gerne nach Deutschland. SAP ist ein deutsches Produkt und er sieht hier Möglichkeiten, etwas zu lernen und sich beruflich weiterzuentwickeln.
Per Online-Interview ins Schweriner TGZ
Über das Internetportal LINKEDIN, einem Netzwerk mit mehr als 500 Millionen Mitgliedern, ist er auf ein Stellenangebot des Schweriner Unternehmens „Trebing & Himstedt Prozessautomation GmbH & Co. KG“ gestoßen. Zum Zeitpunkt seiner Bewerbung spricht Paras Bakshi kein Wort Deutsch. So wurden die drei Online-Interviews mit den Personalern und Fachleuten von Trebing & Himstedt auf Englisch geführt. „My work experience hat finally überzeugt.“, lächelt er und spricht ein Gemisch aus Englisch und Deutsch. „When ich gekommen bin, wusste ich, you are alone and you have to learn.” Und das macht er. Mit Hilfe einer Lehrerin, die sein Arbeitgeber bezahlt, seiner Tandem-Sprachpartnerin Katharina und in der täglichen Praxis am Arbeitsplatz wird sein Deutsch immer besser. Das ist gut, doch sein perfektes Englisch ist in seinem Beruf als SAP-Berater fast wichtiger. Auch Kunden in Deutschland erwarten, dass Fortbildungen und Beratungen auf Englisch durchgeführt werden, allemal wenn die Unternehmen ihr Geschäft international ausgerichtet haben.
Blue-Card is der Schlüssel in die Europäische Union
Mit der Arbeitserlaubnis für Deutschland geht es nach der Zusage recht flott. Als Bürger aus einem Nicht-EU-Land beantragt er eine „Blue-Card“. Ähnlich der Green Card in den USA ebnet die Blaue Karte als Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis für hoch qualifizierte Fachkräfte den Weg in die Europäische Union. Sein Hochschulabschluss wird problemlos anerkannt. Und so macht er den nächsten Schritt seiner beruflichen Laufbahn auf dem Gelände des TGZ, Technologie- und Gewerbezentrum Schwerin/Wismar, bei seinem neuen Arbeitgeber.
Universität in jeder Hauptstadt. Nicht in Schwerin
Und wie geht es ihm hier in Deutschland? Ein paar Vorurteile und Erwartungen musste er revidieren. Manches hat sich bestätigt. „Don’t expect people to be spontaneous!“, lacht er. Und ihm ist inzwischen klar, dass nicht überall freitags bereits am Mittag Feierabend ist.
In Stuttgart hat er Maultaschen kennengelernt, die schmecken ihm auch in Schwerin, so wie das Bier und das Brot. „Jeder kennt jeden hier! Ich habe einen netten Vermieter. Sometimes wir kochen zusammen auch mit seiner family. Aber Schwerin ist mehr ein Stadt for older people.“, sagt er, nicht ohne ein Spur Wehmut. Sicher, mit seinen Arbeitskollegen geht es auch mal in den Freischütz, ins Bolero oder Kabana, doch es fehlen ihm junge Leute und das entsprechende Angebot und Flair in der Stadt. „Hier you can live when Du bist younger than 18 oder older then 30.”, ergänzt er und fragt sich, warum es hier keine Universität gibt. „Every capital has one, but not Schwerin.“
Paras Bakshi ist sich nicht sicher, ob er nach seiner Einarbeitung auf Dauer hier leben wird. In seinem Job geht vieles vom Home-Office aus. Das läuft online. Außerdem muss er viel reisen und das alles geht von ANYWHERE, also von überall.
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-04-23 erschienen.