Gott ist ein bisschen anders in Brasilien Suzana Ferraz aus Brasilien

Suzana Ferraz, Brasilien

Copacabana in der Puschkinstraße

Denken Sie an die Puschkinstraße in Schwerin, wenn Sie das Wort „Copacabana“ hören? Nein? Doch genau dort liegt das Geschäft „Copacabana Brazilian Fashion“ von Suzana Ferraz de Oliveira und ihrer Geschäftspartnerin Ana Paula dos Santos. Die Boutique für moderne und farbenfrohe Damenmode betreiben die beiden Brasilianerinnen seit 2016. Für Suzana Ferraz de Oliveira (32) aus Pau Brasil im Bundesstaat Bahia geht die Zeit als Mitinhaberin nun zu Ende. Die Geschäftsfrau hat andere Pläne.

„Ich bin in einer linken Familie aufgewachsen.“, sagt sie. Ihr Vater ist Postbote und Diakon, die Mutter Oberschwester im Krankenhaus. „Meine Mutter hat für Lula gekämpft. Damals gab es nur arm oder reich. Heute gibt es auch den Mittelstand. Aber als Präsidenten waren Lula und seine Nachfolgerin Dilma nicht ehrlich. Wenn manche Menschen es zu Reichtum und Macht gebracht haben, glauben sie nicht mehr an Gott. Sie glauben, selber Gott zu sein.“ Glücklich ist sie über den amtierenden Präsidenten Bolsonaro nicht, hält ihn für das kleiner Übel.

Die Eltern trennen sich. In Espírito Santo arbeitete Suzana Ferraz nach der Schule als Verkäuferin für Schuhe, Kleidung, Möbel und betrieb mit ihrer Schwester ein Papiergeschäft. 2008 zieht die 21jährige Ferraz aus Brasilien in die Schweiz. Ihr Plan: als Au Pair-Mädchen zu arbeiten. Doch es kommt anders. Eine Menge Fußball-Fans sind während der Europameisterschaften in der Schweiz. Unter ihnen der Schweriner Marko, in den sich Ferraz verliebt. Ein Jahr später kommt sie nach Mecklenburg. Ende 2009 heiraten die Zwei.

Zweimal Anlauf nehmen für Schwerin

Im Sprachkurs am Bleicherufer lernt sie ihre neue Chefin kennen. Die Tunesierin hat ein Lokal am Schlachtermarkt. Hier kellnert Ferraz. Dann ein neuer Job in Hamburg. Ein spanisch-portugiesischs Restaurant. „Die Inhaber waren wie meine Familie. Das war toll. Aber mein Deutsch wurde dort nicht besser.“, so Ferraz selbstkritisch. „Mein nächster Job in einer Hamburger Spielothek war wirklich gut bezahlt, aber das war nichts für mich.“ Für mehr als drei Jahre ist sie Pendlerin, lebt in Schwerin, kommt aber nicht wirklich hier an. „Ich dachte damals, in Hamburg komme ich als Ausländerin vielleicht besser klar.“ 2013 bekommt Schwerin bei ihr eine neue Chance. Suzana Ferraz besucht einen berufsbezogenen Sprachkurs, macht Praktika in der Altenpflege und in der Gastronomie. Eine Anstellung findet sie im IntercityHotel am Schweriner Bahnhof.

Mittlerweile reift in Ferraz die Idee, in Brasilien ein eigenes Hotel zu bauen. Und damit legt sie im Frühjahr 2015 auch los. Für einige Monate reist sie nach Puerto Seguro an die brasilianische Atlantikküste, dorthin wo der portugiesische Seefahrer Pedro Alvares Cabral anno 1500 erstmals brasilianischen Boden betrat. Porto Seguro bedeutet „sicherer Hafen“. Das wird die Stadt und das Projekt Hotelbau für Suzana Ferraz nicht. Auf der Baustelle geht es zwar voran, aber mit ihrer Ehe geht es bergab. Trennung, ein bisschen Rosenkrieg, Scheidung. - Unterkriegen lässt sich die rührige junge Frau nicht. In der Puschkinstraße entsteht die Modeboutique „Copacabana“.

Ihre Deutschkenntnisse sind recht gut. Während der Trennung von ihrem Mann und der juristischen Auseinandersetzung kommt sie aber an ihre Grenzen. Sprachlich und psychisch. „Nach fast zehn Jahren in Deutschland hatte ich so etwas wie einen „Burnout“. Ich habe gemerkt, wie anstrengend das Leben in einem fremden Land sein kann, selbst wenn man gerne hier ist, hier sein will, arbeitet und Freunde hat.“ Nun besucht sie wieder einen Sprachkurs, wünscht sich, dass die Deutschlehrer sich mehr in die Gefühlswelt ihrer ausländischen Schüler hineinversetzen können. Sie hat Power, will im Leben vorankommen. Und Schwerin? „Alle Wege sind kurz hier.“, sagt sie. Stundenlang könne sie vom ehemaligen Offizierscasino in der Johannes-Stelling-Straße auf das Schloss und den Park schauen. „Die Stadt ist so schön, ich spüre Gott an jeder Ecke!“ Seit einigen Monaten besucht sie die Gottesdienste im Dom. „Ach, und das beste Frühstück ever gibt es in der Rösterei Fuchs am Markt!“

Mit WhatsApp in Braslien ein Haus bauen

Schwimmen hat sie im letzten Sommer gelernt. „In meiner Stadt gibt es einen Wasserfall. Da springe ich runter und schwimme wie ein Hund!“, lacht sie. „Das ist jetzt vorbei!“ Schwimmlehrer war ihr neuer Partner, Steffen. Gemeinsam geht es im Juli nach Brasilien zur Familie. Ihre vier Geschwister und Eltern leben weit weg und sind zugleich sehr präsent im Leben von Suzana Ferraz. „Mit meiner Familie habe ich täglich Kontakt. Manchmal rufe ich meine Eltern an und sage einfach nur „Danke“.“ Ihre Mutter ist zurzeit mit dem Bau eines Hauses beschäftigt. Den Hausbau unterstützt und organisiert Ferraz per Internet. Sie telefoniert mit dem Maurer und dem Küchenausstatter. WhatsApp und den neuen Medien sei Dank.

Mit ihrer jüngsten Schwester plant Susana Ferraz einen Online-Shop mit Kleidung für den brasilianischen Markt. Und hier in Schwerin beginnt sie die Ausbildung zur „Psychologischen Beraterin“. Sie lacht: „Ob ich das kann? Gut zuhören? Schaffe ich das? Ich rede so gerne. Aber ich hatte immer das Gefühl, ich bin hier um zu helfen. Ich habe eine evangelische Erziehung. Gott ist ein bisschen anders in Brasilien.“ In ihrer eigenen Praxis möchte sie später einmal Menschen helfen, die eine ähnliche Geschichte haben wie sie selbst.

Der Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ am 2019-06-03

Länderinfo Brasilien

Die „Föderative Republik Brasilien“ ist - an Fläche und Bevölkerung gemessen - der fünftgrößte Staat der Erde. Auf fast der Hälfte der Fläche Südamerikas leben ca. 208 Millionen Einwohner. Brasilien hat mit fast jedem südamerikanischen Staat – außer Chile und Ecuador - eine gemeinsame Grenze.

Nach rund dreihundert Jahren als portugiesische Kolonie erlangt Brasilien 1822 die staatliche Unabhängigkeit, wird Kaiserreich, dann Republik. Mit Ende der Militärdiktatur 1964 – 1985 wandelte sich das Land zu einer präsidentiellen Demokratie. Einwanderer trugen über Jahrhunderte zur heutigen ethnischen Vielfalt Brasiliens bei. In einigen Gemeinden im Süden ist Deutsch neben Portugiesisch die zweite Amtssprache.

Nach einer längeren wirtschaftlich und politisch stabilen Phase erschüttern seit Jahren Bau- und Bestechungsskandale das Land. Präsident Jair Bolsonaro amtiert seit 2018. Er war seit 1991 Mitglied des brasilianischen Kongresses, wechselte während dessen mehrfach die Parteizugehörigkeit. Seine rechtskonservative und neoliberale Einstellung unterstreicht er vor allem mit rassistischen, frauenfeindlichen und die Militärdiktatur verteidigenden Äußerungen.

Die Heimat von Pelé, Paulo Coelho, Gisele Bündchen, Oscar Niemeyer und Paulo Freire wird hierzulande gerne gleichgesetzt mit Lebensfreude, Musik, Sonne und blauem Himmel. Doch Nachrichten zeigen ein anderes Bild: der jüngste Amoklauf an einer Schule in São Paulo, der Dammbruch von Brumadinho, abgeholzte Regenwälder im Amazonas, ermordete Menschrechtsaktivisten und Erdrutsche nach Regenfällen. Bei vielen Brasilianern ist die Lebensfreude gewichen. Wut und Resignation treten an ihre Stelle und nur wenig Hoffnung, dass sich das unter dem neuen Präsidenten schnell wieder ändert.