Tagesmutter aus Leidenschaft Tarietou Tcha-Santi aus Togo
Alles nagelneu
Es ist alles schon da und alles ist nagelneu: Spiel-Küche, Kinderwagen, Wickeltisch, Stühle, Betten und anderes mehr, fast alles im Kleinformat. Denn es ist für ihre „Tages-Kinder“ in der Kindertagespflege „Chez Maman Tari“ in der Hamburger Allee 146, direkt gegenüber der Straßenbahnhaltestelle Keplerstraße. Tarietou Sebou (40) ist ausgebildete Tagesmutter und hat erst kürzlich ihre Einrichtung für Kinder im Alter von 6 Monaten bis 3 Jahre eröffnet.
„Ich glaube, es gibt drei Voraussetzungen, die man braucht, um diese Arbeit gut zu machen.“, sagt Tarietou und lächelt. „Erstens „Mutter sein“, zweitens Muttergefühle und ein Mutterherz haben und drittens, die Kinderwelt verstehen können. Sonst geht das nicht.“, ergänzt sie überzeugend und strahlt aus, dass sie genau das hat und dass sie genau das auch kann. Tarietou Sebou, die alle nur „Tari“ nennen, stammt aus Sokodé, der zweitgrößten Stadt Togos in einem ländlichen Umfeld im Zentrum des Landes. Hier ist sie als Jüngste mit zwei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen. Ihre Muttersprache ist Kotokoli, eine Sprache, die von 300.000 Menschen in Togo, Benin und Ghana gesprochen wird. In der Schule lernt sie die Amtssprache Französisch. Sie spricht es fließend. „Aber, nee. Eine fleißige Schülerin war ich nicht. Ich hatte als Jugendliche andere Sachen im Kopf und musste auch mal eine Klasse wiederholen!“, lacht sie und es ist leicht, sich vorzustellen, wie sie als junges Mädchen mit ihren Freundinnen und Freunden in der Stadt unterwegs ist. „Nach der Schule hatte ich einen kleinen Job als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft und war auch politisch aktiv. Meine Eltern haben sich ein bisschen Sorgen um meine Zukunft gemacht.“ Und so schickten sie die gerade einmal 20jährige Tari mit einem Visum nach dem Schengener Abkommen über Frankreich nach Deutschland zu den älteren Geschwistern, die nahe Mannheim und Frankfurt leben und arbeiten.
Erst Trier, dann Schwerin
Tarietou lernt hier ihren ersten Mann kennen. Auch er kommt aus Togo. Gemeinsam leben sie in Trier. Dort kommen auch die beiden Kinder zur Welt. „Für C&A habe ich im Lager gearbeitet. Da schlug mir meine Schwester vor, eine Ausbildung zur Tagesmutter zu machen, und ich fand das eine tolle Idee“. Die Schulung zur Tagesmutter umfasst 160 Unterrichtsstunden und erstreckt sich über mehrere Monate. Während dieser Zeit lernen die Teilnehmerinnen alle pflegerischen und pädagogischen Grundlagen, die notwendig sind, um als Betreuungskraft für Kinder arbeiten zu können. Eine gute Allgemeinbildung sowie ein einwandfreier Leumund sind weitere Voraussetzungen, um in der Tagespflege zu arbeiten. - Für das Jugendamt Trier betreut Tarietou nach dem Ausbildungsabschluss regelmäßig fünf Kinder.
Die Eheleute trennen sich. Ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter reist Tarietou für wenige Wochen nach Togo. Sie trifft sich dort mit Freunden und der Familie. Aber was dann in Sokodé passiert, war wirklich eine Überraschung. „Oh Gott! Schon wieder dieser Mann! habe ich gesagt, als er da plötzlich auf der Straße vor mir stand!“ Er, das ist Arafat Ourobou Tchakpedeou, ihre Jugendliebe. Auch er ist nur für kurze Zeit in Sokodé. Er lebt seit 2004 in Schwerin. „Erstmal hatten wir danach in Deutschland keinen Kontakt, aber dann haben wir uns in Hamburg getroffen. Auf neutralem Boden.“, lacht sie. „Das war der erste Schritt in den Norden.“ Gemeinsam mit ihrer Tochter, Sharifah (17) zieht Tarietou im Sommer 2017 in die Landeshauptstadt. Ihr Sohn Abdul Hamid (15) lebt bei seinem Vater in Trier.
Tagespflege: viel Herz, wenig Geld
Hier angekommen wollte sie gerne Erzieherin werden. Das Praktikum bei „Future Kids Schwerin“ läuft gut. Aber anschließend ein Jahr lang auf einen Ausbildungsplatz warten, das war ihr doch zu lange. So ist Tarietou Sebou zum Schweriner Jugendamt gegangen und hat dort ein offenes Ohr für ihre Angebot, eine Tagespflege zu eröffnen, gefunden.
Die Stadt Schwerin sieht in der Tagespflege ein alternatives Angebot zur Betreuung in Kindertageseinrichtungen. Zurzeit betreuen ca. siebzig Tagesmütter und -väter in allen Stadtteilen vorwiegend Kinder im Alter von null bis drei Jahren. Ein anspruchsvoller Job: flexible Betreuungszeiten, familienergänzende Erziehung, liebevolle, individuelle Betreuung in kindgerechten Räumen und kleinen Gruppen, gesundheitsbewusste Ernährung, geregelte Tagesabläufe und Rücksichtnahme auf besondere Bedürfnisse der Kinder gehören zum Programm einer Tagesmutter. Eine verantwortungsvolle Tätigkeit, die viel gelobt, aber schlecht vergütet wird. So sieht das jedenfalls die Landesvorsitzende des Verbandes für Kindertagespflege, Kuhlmann. Der Verband hat sich zu Jahresbeginn 2019 in einer Petition an den Landtag Mecklenburg-Vorpommern gewandt und fordert eine bessere Bezahlung.
Tarietou Sebou beklagt sich nicht. Sie hat rund 6.400 € in die Ausstattung gesteckt und ist dankbar für die kindgerechte Renovierung der Räume durch die SWG. Es kann also losgehen. Sie freut sich auf die nächsten Wochen, wenn ihre Tageskinder kommen.
Und Schwerin? „Die Stadt ist ein bisschen wie Trier. Nicht zu groß. Die Menschen sind hier auf den ersten Blick verschlossener. Arafat sagt immer, die Tür der Mecklenburger ist erstmal zu, da musst Du schon klopfen. - Im Theater haben wir die Generalprobe von Othello gesehen. Das war schön!“, sagt sie. Sie wünschst sich für ihre Tageskinder, dass sie mit Akzeptanz und Toleranz anderen Kulturen und Sprachen gegenüber aufwachsen und so die Zukunft einer offenen Gesellschaft in Schwerin mitgestalten. Und die Zukunft? „Mein Traum ist es, dass ich alles, was ich hier in Deutschland gelernt habe, auch in Togo einsetzen kann, wenn ich dort eines Tages einen Kindergarten für Waisenkinder eröffne!“, strahlt sie optimistisch und kraftvoll.
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-05-27 erschienen.
Länderinfo Togo
Die Republik Togo liegt am Golf von Guinea, Westafrika. To bedeutet in der Sprache der Ewe Wasser, Go bedeutet Ufer. Gerade mal doppelt so groß wie Brandenburg ist Togo für afrikanische Verhältnisse ein Kleinstaat: lang und schmal in Nord-Süd-Richtung etwa 550 km, in West-Ost-Richtung nur 50 bis 140 km. Der Küstenstreifen ist gerade mal 56 km lang.
Hauptstadt und Regierungssitz ist Lomé. Hier lebt knapp ein Viertel der rund 8 Millionen Einwohner. Im Index der menschlichen Entwicklung steht das Land auf dem 166. Platz von 188. Von 1884 bis 1916 war das Gebiet Togos eine deutsche Kolonie unter französischer Verwaltung. Geprägt wurde das Land fast 40 Jahre lang vom autokratisch regierenden Präsidenten Eyadéma. 2005, nach dessen Tod, wurde sein Sohn Faure Gnassingbé unter Missachtung der Verfassung von der Armee zum neuen Präsidenten ernannt.
Togo ist ein tropisches, regenabhängiges Agrarland. Fast zwei Drittel der Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft: Yams, Maniok, Mais, Hirse, Erdnüsse und Sorghum werden angebaut. Die wichtigsten Exportgüter sind Calciumphosphat, Baumwolle, Kaffee, und Kakao.
Traditioneller Nationalsport Togos ist der Ringkampf, ebenfalls bedeutend ist der Fußball.