Das Ende macht im Satz den Unterschied Viorica Sirbu aus Moldawien

Viorica Sirbu, Moldawien

„Drei Katzen, ein Mann. Das reicht.“, sagt Viorica Sirbu (28) und lacht aus vollem Herzen, als sie beginnt ihren Weg nach Schwerin und den Alltag in der Landeshauptstadt zu beschreiben.

Der Familienrat entscheidet

Im Jahr 2008 ging sie noch in Antonești, einer Kleinstadt im Landkreis Ștefan Vodă im Südosten der Republik Moldau, zur Schule. Sie wollte gerne für ein Jahr ins Ausland gehen und so tagte der Familienrat: Mutter, Vater, die zwei jüngeren Brüder und Viorica Sirbu. „Niederlande oder Deutschland? Das war die Frage. Wir haben abgestimmt und Deutschland bekam mehr Punkte.“ Und so ging es für Viorica Sirbu im nächsten Schuljahr in die Klasse 11 am Goethe-Gymnasium in Ludwigslust. „Die Vorfreude auf das Gastschuljahr war riesig, aber meine ersten Deutschkenntnisse waren nicht ausreichend, um ein einfaches Gespräch zu führen.“, sagt Sirbu und erinnert sich an die gute Unterstützung beim Lernen durch ihre Mitschüler und die Gastfamilie, „Vier Monate später konnte ich nach einem Kinobesuch immerhin schon sagen, ich hätte 40% des Films verstanden. Beschreiben konnte ich die Geschichte des Films, es war „Die Mumie“, aber noch nicht. Doch das hat sich im Laufe des Jahres geändert.“ - Ihren Schulabschluss macht Sirbu in Moldawien. Sie geht zum Studium in die Hauptstadt Chișinău.

Mit einem Bachelorabschluss „Internationales Recht“ in der Tasche und ausgestattet mit den Sprachen Rumänisch, Englisch, Russisch und Deutsch, kommt die junge Juristin nach dem ersten Job in der Beratung zur Integration von Flüchtlingen und von humanitären Schutzbedürftigen beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR Representation in the Republic of Moldova) zurück nach Ludwigslust.

Mit dem großen Koffer erst nach Ludwigslust

„Ich hatte mir ein one-way-Ticket gekauft und einen Koffer dabei, der war schwerer und deutlich größer als ich selbst!“, lacht sie. Im Gepäck war auch eine kleine Landkarte von Moldawien, die ihr kleiner Bruder gezeichnet hat. Sie hat ihm diese vor der Abreise „geklaut“ und seitdem immer bei sich. Im Herbst 2016 zieht sie nach Schwerin.

Hier arbeitet sie beim VSP, Verbund für Soziale Projekte gGmbH. „Ich berate im Projekt HELLP Bürger aus der EU, die im Landkreis Ludwigslust leben und arbeiten. Da habe ich viel Kontakt zu Behörden in der Region und in Schwerin. Schön ist, dass die Wege hier kurz und die Menschen meist hilfreich und offen in der Zusammenarbeit sind.“ Das Berufsleben mit Menschen, die ihren Rat suchen und brauchen, liegt ihr. Die vielfältigen Sprachkenntnisse sind da ein echtes Plus. Allerdings braucht die Arbeit eine Menge Energie.

Zur Erholung geht es in den Schlosspark von Kaarz oder an die Ostsee. Dort geniest sie mit ihrem Partner, Daniel, die Ruhe am Strand „Schwarzer Busch“. Kennengelernt haben sich die Zwei beim BJJ, dem „Brasilianischen Jiu-Jitsu“. Da war Daniel ihr Trainer.

Lesen geht unter die Haut

Sirbu liest gerne und mag Hörbücher. Aktuell hört sie den „Der Ernährungskompass“. Davor war es „Der Tätowierer von Ausschwitz“. Die Geschichte von Lale Sokolov, der 1942 nach Auschwitz deportiert wurde und dort Häftlingsnummern auf die Unterarme seiner Mitgefangenen tätowieren musste, geht ihr unter die Haut. „So ein Buch bewegt mich sehr. Es hilft mir offenzubleiben und mich für Vielfalt einzusetzen!“, betont sie.

Sprachen machen ihr Spaß. Auch Deutsch. Besonders mag sie Worte, die auf Deutsch und Rumänisch ähnlich klingen, zum Beispiel Diversität, sukzessiv oder luzid, ein Wort das kaum ein deutscher Muttersprachler kennt. Das Adjektiv bedeutet „klar; verständlich, einleuchtend“ Deutsche Redensarten, wie „alles in Butter“ oder „alter Schwede“, hat sie anfangs wörtlich genommen und sich gewundert, was die Leute so sagen. „Das Ende macht den Unterschied. Einen deutschen Satz muss man immer bis zum Ende hören. Da kommt das Verb oder die Negation.“, schmunzelt sie. Es gefällt ihr, wenn ihr Freund sie hin und wieder korrigiert. „Da lerne ich immer wieder dazu. Auch Worte wie „wat“ oder „icke“, die nicht im Duden stehen.“ Und sie legt Wert darauf, Verstehensprobleme möglichst schnell und gründlich auszuräumen.

Davon könnte Schwerin mehr vertragen: junge Leute

Was sie hier vermisst? Es ist die Familie, die himmlische Ruhe und der klare Himmel auf dem Dorf bei den Eltern. Die beiden leben auf dem Land, 120 km östlich der Hauptstadt. Die Mutter ist Familienärztin und der Vater arbeitet im Katasteramt. „Die Kohlrouladen von meiner Mama vermisse ich. Das sind die besten! Und ich freue mich auf Mamas Hühnersuppe mit Huhn direkt vom Hof.“

In Mecklenburg gefällt es ihr. Schwerin findet sie schön und sie fühlt sich wohl. Das junge und bunte Leben, dass sie aus Chișinău kennt, fehlt mir manchmal. „Es ist schade, dass Schwerin keine Uni hat. Im Erasmusprojekt. „Job to Stay“ kooperieren wir beim VSP auch mit der Fachhochschule für den Mittelstand. Davon könnte die Stadt mehr vertragen.“

In Zukunft möchte sie ihre Erfahrungen und Kenntnisse auch einmal in ihrem Land einbringen. So sieht sie langfristig ihre Perspektive in Moldawien, und es war für sie selbstverständlich, im Februar 2019 in Berlin an der Botschaft der Republik Moldawien ihre Stimme bei den Parlamentswahlen abzugeben. Zufrieden ist sie mit dem Wahlergebnis nicht.

Kommen Freunde oder Familie zu Viorica Sirbu als Gäste nach Schwerin, dann spaziert sie mit ihnen meist um den Pfaffenteich, durch die Innenstadt zum Schlossgarten. „Das ist immer die erste Anlaufstelle, sobald die Sonne scheint.“ Und das ist ja bald wieder soweit.

Dieser Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-05-20.

Länderinfo Moldawien

Die Republik Moldau ist ein Binnenstaat, umschlossen von Rumänien und der Ukraine. Die Landschaft aus Wäldern, felsigen Hügel und Wäldern und Weinbergen ist schön.

Aber vom Export von Wein und weiterer landwirtschaftlicher Produkte kann das Land mit seinen ca. 3,5 Millionen Einwohnern nicht leben. Aus der einst wohlhanden Sowjetrepublik wurde nach 1991 einer der ärmsten Staaten Europas. Touristen meiden das Land, das manche Beobachter einen captured state, einen gekaperten Staat nennen, in dem die regierende Demokratischen Partei (PDM) allein die Interessen ihres Vorsitzenden, des wohl reichsten Mannes Moldawiens, Vladimir Plahotniucv, vertritt.

Die Löhne sind viermal niedriger als im Nachbarland Rumänien. Schwarzarbeit blüht, die Justiz gilt als undurchschaubar: Kritiker sprechen vom „Mafia-Staat“ an der EU-Grenze. Korruption und Staatsschulden halten das Land und die europäischen Geldgeber in Atem. Der Konflikt um die Region Transnistrien schwelt seit vielen Jahren. Ein Zankapfel ist die außenpolitische Ausrichtung des Landes in Richtung Europa oder Russland. Die Infrastruktur verfällt nicht nur in der Hauptstadt Chișinău. Hier leben auf einer Fläche von der Größe Schwerins mehr als 500.000 Menschen. Das Sozialsystem ist lückenhaft und auch das Gesundheitssystem könnte besser sein. Darum suchen viele junge Leute ihr Glück woanders und verlassen das Land.

Nach den jüngsten Wahlen 2019 ist die Regierungsbildung noch nicht abgeschlossen. Führende Vertreter der drei stärksten Parteien erheben Betrugsvorwürfe und beschuldigten sich gegenseitig des Stimmenkaufs.