„Dschungel-Asyl“ statt Disneyland Aibeniz Eser aus Aserbeaidschan
Aus Baku am Kaspischen Meer machen sich 2001 die neunjährige Aibeniz Eser, ihr Bruder Hüsein (8), ihre Mutter Konül (36) auf den Weg nach Disneyland. Das jedenfalls hatte die Mutter der kleinen Aibeniz erzählt, bevor die drei aufbrachen. Zu dieser Zeit hatte der innenpolitische Kurs der Regierung Aserbaidschans autoritäre Züge: unaufgeklärte politische Morde, Verhaftungen, Berufsverbote für Journalisten, Verbote oppositioneller Medien und Parteien waren an der Tagesordnung. Was von alledem ihre Mutter bewegt hat, die Heimat mit den Kindern zu verlassen, mag Aibeniz Eser heute nicht sagen. „Meine Mutter spricht nicht gern darüber. Unser Vater wurde verfolgt. Aber meine Erinnerungen daran sind verschwommen. Meine Mutter war wirklich stark, ich würde mir das nicht zutrauen, mit Kindern so auf die Flucht zu gehen.“
In Peeschen-Holzendorf gelandet
In Disneyland kommen sie nie an. Sie landen im „Dschungel-Asyl“ von Peeschen-Holzendorf. Von der Landstraße führt ein kleiner Weg durch dichten und tiefen Wald. Der Weg knickt plötzlich ab und endet auf einer Lichtung, umgeben von hohen Bäumen. Dort stehen zwei langgezogene Baracken, ein festes Steinhaus und ein containerförmiger Kasten aus Wellblech und Holz. In der Nachbarschaft von Wildschweinen, Rehen, Füchsen und allerlei Arten von krabbelndem und fliegendem Getier leben dort bis zu einhundertfünfzig Asylbewerber. Zu Zeiten der DDR war hier ein Kinderferienlager. „Wir kamen in die Alexander Behm-Schule in Sternberg. Bis zur 4. Klasse war ich in Baku in der Schule. Das war sehr streng damals. Für uns war das echt ein Schock in der neuen Schule. Heute muss ich sagen, das Strenge hat mir besser gefallen“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „Aber wir hatten auch zwei tolle Lehrerinnen, die sich sehr um mich und meinen Bruder gekümmert und mit uns Deutsch gelernt haben. Bei denen muss ich mich echt noch mal bedanken!“
Ab der 5. Klasse gehen die Geschwister auf das Friedrich-Franz-Gymnasium in Parchim, machen Abitur. Aibeniz hat inzwischen ihren Mann, Erkan Eser, kennengelernt. Nach islamischer Sitte, dem nikãh, heiraten die beiden. „Wir sind nur zwei Straßen weiter zusammengezogen, aber meine Mutter hat getan, als sei ich nach Amerika gegangen.“ Kurz darauf trennen sich die Wege. Bruder und Mutter gehen nach Berlin.
Aibeniz Eser beginnt in Parchim eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten. Schon nach zwei Wochen fängt sie an, sich zu langweilen. „Und dann sagte der Anwalt, dass ich das, was ich die letzten zwei Wochen gemacht habe, nun auch die nächsten zwei Jahre machen sollte. Und da habe ich echt nee gesagt. Und der Anwalt sagte, ich solle besser mal studieren gehen.“ Gesagt, getan.
Kein Pendeln nach Berlin
Zunächst erhält sie die deutsche Staatsbürgerschaft. An der Universität Rostock studiert sie Lehramt für Realschulen in Mathematik, Sozialkunde und Philosophie, merkt aber bald, dass sie sich nicht als Lehrerin in der Klasse sehen konnte. „Die Verantwortung wollte ich nicht auf mich nehmen. Das ist eine wirklich anspruchsvolle Aufgabe, und da muss man sich klar sein, dass man das auch wirklich kann“, meint Eser und bricht das Studium ab.
Ihr Traum ist es, im Hotelmanagement zu arbeiten und so bewirbt sie sich im Berliner Nobelhotel Adlon. „Und dann mach ich wohl den Fehler meines Lebens“, sagt sie lachend, und es ist nicht klar, wie ernst sie das meint. „Ich hatte die Zusage für ein Praktikum und habe abgesagt. Ich konnte mir nicht vorstellen, immer zwischen Berlin und Parchim hin- und herzufahren.“ Statt Berlin wird es wieder Rostock und ein Anlauf im Studiengang „Good Governance“, der allerdings nach kurzer Zeit endet. „Ich war schwanger und wollte gerne für mein Kind da sein.“ 2014 kommt die kleine Aleyna zur Welt. Heute flitzt die Fünfjährige durch die Wohnung und wechselt zwischen den Sprachen Deutsch, Englisch, Aserbaidschanisch und Türkisch hin und her. Und die junge Frau ist nun auf der Zielgeraden. „Im Sommer beende ich mein BWL-Fernstudium an der Internationalen Hochschule IUBH mit dem Bachelor.“
Aibeniz Eser hat eine kleine Kiste. In die legt sie ihre Wünsche. „Vieles davon habe ich schon geschafft. Abitur, Führerschein, eine Reise nach Istanbul. Aber einige hat sie noch: „Fließend Englisch sprechen, ein kleines, weißes Häuschen mit blauen Fensterrahmen für meine Mutter und endlich nach Disneyland.“
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-05-06 erschienen.
Länderinfo Aserbaidschan
Die Republik Aserbaidschan, einst Sowjetrepublik, hat sich 1991 für unabhängig erklärt. Das Politische System Aserbaidschans ist geprägt vom autoritären Führungsstil der aserbaidschanischen Präsidenten und durch Korruption unterminiert.
Auf dem Demokratieindex 2018 der Zeitschrift The Economist steht Aserbaidschan weltweit auf Platz 149 von 167 Ländern. In Sachen Korruption belegt das Land 2018 Platz 159 von 179 untersuchten Ländern. Baku, Hauptstadt und Sitz der Regierung, ist eine bedeutende Hafenstadt am Kaspischen Meer und für ihre mittelalterliche Festungsanlage in der Altstadt bekannt. Innerhalb des Festungsrings befinden sich der Palast der Schirwanschahs, ein Herrschaftssitz aus dem 15. Jahrhundert, und der jahrhundertealte Jungfrauenturm, der die Skyline der Stadt beherrscht.
Knapp 10 Millionen Einwohner erleben seit dem Jahr 2000 einen rasanten Wirtschaftsaufschwung. Der Ölreichtum des Landes bietet ein langfristiges Potential für wirtschaftliche Entwicklung.
Zwischen dem Kaspischen Meer und dem Kaukasus in Vorderasien, grenzt Aserbaidschan im Norden an Russland - und nur hier an Europa. Die Nachbarn sind Georgien, Armenien, der Iran und – über die Autonome Republik Nachitschewan – die Türkei. Die Exklave Nachitschewan wird vom aserbaidschanischen Kernland durch einen armenischen Gebietsstreifen getrennt. Ein Teil des Staatsgebiets sind seit Anfang der 1990er Jahre von den Einheiten der Karabach-Armenier besetzt.