Geige speilt sie nur noch privat Ariunaa Zelder aus der Mongolei

Ariunaa Zelder, Mongolei

„Von der ersten Klasse an war klar, ich werde Musikern, Geigerin. Acht Jahre habe ich die Musikschule in Ulaanbaatar besucht. Wir wurden systematisch auf eine Laufbahn als professionelle Musiker vorbereitet. Das war klar, geplant im gesellschaftlichen Kontext.“ Und wäre alles so weitergelaufen, wie es in den vergangenen Jahrzehnten lief, dann würde Ariunaa Nergui vermutlich heute im Nationalorchester der Mongolei die erste Geige spielen. Doch es kam anders.

Die wirtschaftlichen Zwänge des Umgestaltungsprozesses nach 1990 verursachten deutliche Verschlechterungen im Bildungswesen und in den Kultureinrichtungen der Mongolei. „Plötzlich wusste niemand wie es weitergeht. Die Theater und Konzertsäle bleiben leer. Nicht nur viele Musiker waren orientierungslos, sahen keine Zukunft mehr, haben sich eine andere Arbeit gesucht. Ich habe die Schule gewechselt. Aber dann? Politik, Wirtschaft, Jura?“, und ein wenig ist die Unsicherheit der damaligen Zeit spürbar, während sie erzählt.

„Meine Familie hat ganz in der Nähe eines „Dollarshops“ gewohnt. Dort gab es gegen Devisen viele westliche Produkte. Der Laden hatte einen besonderen Geruch. Manchmal sind wir Kinder einfach dorthin gegangen, um zu riechen.“, lacht sie.

Vielleicht hat der „Geruch der weiten Welt“ bei der Aufnahmeprüfung für die Universität geholfen. Nergui entscheidet sich für das Studium „Internationale Politik“ und für das Erlernen der deutschen Sprache. „Andere lernten Japanisch, Koreanisch, Englisch. Französisch konnte meine Schwester bereits und mit Deutsch kam eine neue Fremdsprache in die Familie.“ Sie erzählt von ihrer Oma, die 1984 mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Moskau fuhr und von dort in die DDR nach Dresden, Leipzig und Berlin reiste. „Sie hat viel vom Leben in der DDR erzählt, auch meine Tante, die eine „Aspirantur“ zur Promotion in Rostock hatte.“ Viele ausländische Studenten promovierten damals in der DDR.

„Die Mongolei ist zwar ein riesiges Land, aber dort leben nur wenigen Menschen. Da war es nicht realistisch zu glauben, nach der Universität einen der wenigen Jobs im Auswärtigen Dienst zu bekommen. So hab mich ich neu orientiert und bin Anfang 2000 nach Deutschland gegangen. Mein Inbegriff von Deutschland war Hamburg.“ Da bekommt sie aber keinen Studienplatz. Ihre Stationen sind Wolfenbüttel, Borken, Essen und dann Lüneburg. Dort absolviert sie ein weiteres Studium, das sie als Diplom-Pädagogin abschließt.

Ein ehemaliger Kommilitone, ein Deutscher, den sie an der Universität in der Mongolei kennengelernt hat, lädt Ariunaa Niguri zu seiner Hochzeit nach Neustadt-Glewe ein. Dort trifft sie auf Christian Zelder aus Schwerin. Die beiden entdecken zahlreiche Parallelen: Aufgewachsen im Sozialismus, Pioniere, hier „Intershops“, dort „Dollarshops“. Beide sind Jugendliche in der Phase des gesellschaftlichen Umbruchs. Die Zwei werden ein Paar, heiraten und ziehen nach Schwerin „Wir verstehen uns wirklich gut, auch weil wir so viele ähnliche Erfahrungen haben. Kulturelle Unterschiede gab es von Anfang an kaum.“, sagt Ariunaa Zelder. „Allerdings, in Deutschland bedeutet ein „Nein“ auch tatsächlich „Nein“. Bei uns ist dagegen ein „Ja“ nicht immer wirklich so gemeint.“ ergänzt sie schmunzelnd.

„Vor 1990 haben zahlreiche Mongolen im Ausland studiert, in der DDR oder der Sowjetunion. Doch nun sind noch mehr junge Leute ins Ausland gegangen. Aber viele von ihnen kommen nun auch zurück. Die Mongolei profitiert sehr von den Erfahrungen, die die Rückkehrer gemacht haben.“, so Zelder. Ihre Brüder, die in Österreich und Irland gelandet waren, sind zurück in der Mongolei. Ihre Schwester lebt in Frankreich.

Das Leben von Zelder ist geprägt von den Veränderungen der vergangenen Jahre. „Ich bin froh, dass ich in der Schule eine klassische Ausbildung erhalten habe. Doch Änderung bedeutet immer, etwas aufzugeben. Für mich ist es immer auch ein Gewinn. Umbruch bedeutet neue Möglichkeiten. Türen öffnen sich. Ohne Visum reisen können, keine Grenzen. Das ist doch die größte Freiheit, die ein Mensch beanspruchen kann.“ Ariunaa Zelder ist Leiterin des ABW (Ambulant Begleitetes Wohnen) und der angeschlossenen Beratungsstelle, einer Einrichtung des Diakoniewerkes Neues Ufer. „Die Arbeit mit den Menschen macht mir viel Freude. Schwerin ist meine zweite Heimat. Ich mag das kulturelle Angebot. Mir gefällt es, dass es hier in den letzten 10 Jahren bunter geworden ist. Ich wünsche mir mehr junge Leute, Arbeitsplätze, multikulti-Esskultur in der Stadt. Sicher ist es nicht leicht hier eine Universität anzusiedeln, aber das wäre schön.“

Geige spielt sie nur noch privat. Sie mag ihren täglichen Arbeitsweg am Pfaffenteich entlang, fährt gerne mal an die Ostsee. Und sie vermisst die mongolische Sonne. „Im Sommer ist es bei uns sehr heiß und im Winter wirklich kalt. Doch an 300 Tagen scheint die Sonne.“, lacht sie. Regelmäßig besucht Ariunaa Zelder ihre Eltern in der Mongolei. Auch sie kann sich vorstellen, einmal dorthin zurückzukehren. Wichtig wäre ihr, dass ihr Mann dort eine Arbeit findet. Er ist Kältetechniker.

Dieser Artikel ist am 01.07.2019 in der Schweriner Volkszeitung erschienen: https://www.svz.de/lokales/zeitung-fuer-die-landeshauptstadt/veraenderungen-sieht-sie-als-chance-id24506507.html

Länderinfo Mongolei

Einst verbreitete der mongolische Herrscher Dschingis Khan (um 1160 bis 1227) Schrecken in Asien und Europa. Heute ist die Mongolei ein international geachteter Staat und eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt.