Am Pfaffenteich fiel die Entscheidung für Schwerin Dr. Jiři Blažek

Jiři Blažek, Tschechien

Seit etwa 1850 bestimmt vor allem der Bau von Holz- und Blechblasinstrumenten das wirtschaftliche Gesicht der tschechischen Stadt Kraslice nahe der Grenze zu Sachsen. „Meine Oma hat in der Kantine von Amati-Denak gearbeitet, meine Mutti hat die Instrumente verpackt und mein Vater hat als Techniker die Instrumente repariert. Ich hatte diese Neigungen nicht.“, sagt Jiři Blažek (38). Er hat sich anders entschieden.

Während seine Familie bei dem weltbekannten Musikinstrumentenhersteller Amati, dem einst größten Arbeitgeber in Kraslice, ihr Geld verdiente, entdeckt der junge Jiři Blažek in den Schulferien nach der 5. Klasse die Naturwissenschaft Chemie für sich.

Von der Grundschule in Kraslice wechselt Jiři Blažek an das Gymnasium in Sokolov, auch Falkenau an der Eger. „Eigentlich haben wir uns darauf gefreut, Englisch zu lernen. Aber die Schule hat keinen Englischlehrer gefunden. So mussten wir Deutsch lernen. Gefallen hat uns das nicht, aber nach einem Jahr fing es an, Spaß zu machen.“, lächelt er. „In der Zeit am Gymnasium habe ich ein Auslandsjahr in Deutschland gemacht. Das war in Klingenthal, nur 3 Kilometer von Zuhause weg. Wir waren in Gastfamilien untergebracht und es war unglaublich. Die Schule war anders. Nicht in allen Bereichen besser, aber man wurde anders unterstützt, konnte fast alles sagen, ohne angefeindet zu werden. Nach dem Jahr lief mein Leben in 2 Sprachen. In der Schule Tschechisch, Fernsehen, Bücher, Kultur auf Deutsch.“

Jiři Blažek macht Chemie zu seinem Steckenpferd. Er nimmt an „Chemie Olympiaden“ teil und besucht bereits Vorlesungen an der Universität Chemnitz. „Egal wofür man sich als Schüler interessierte, man bekam die entsprechenden Bücher. In Tschechien wäre das nicht möglich gewesen. Mit 10 Millionen Menschen ist das Land klein und es gibt nur wenige Leute, die sich für so spezielle Dinge interessieren. Zu wenige, als dass ein Verlag solche Texte übersetzen und verlegen würde. Das rechnete sich nicht. Heute ist das schon besser.“

Blažek war und ist sehr vielseitig interessiert. „Deutschland habe ich seit der Schulzeit immer damit verbunden, dass die Welt hier reich und bunt ist.“ Er bezeichnet sich als „Streber“. „Mein erstes Buch auf Deutsch war Wilhelm Tell von Schiller. Das habe ich anfangs Wort für Wort mit dem Wörterbuch übersetzt. Ab dem ersten Akt konnte ich es dann einigermaßen fließend lesen. Da giltst du schnell als Sonderling.“ Es folgten Maria Stuart, Faust I, Faust II, Kafka, Rousseau. „Irgendwann konnte ich mir die Gesamtausgabe von Schiller kaufen und lesen. Das konnte niemand nachvollziehen.“, lacht er.

Gerne hätte Blažek in Deutschland Abitur gemacht. „Dann hätte ich auch in Deutschland studieren müssen oder für die Zulassung zum Studium in Tschechien viel Papierkram gehabt.“ So geht es zum Abitur zurück nach Sokolov und dann im Jahr 2000 an die Universität für Chemie und Technologie in Prag, die größte ihrer Art in Mitteleuropa.

„Mein Ziel war es mit einer möglichst guten Qualifikation irgendwann nach Deutschland zurückzukommen. Ich wollte auch etwas anbieten können.“, so Jiři Blažek. An der Fakultät für Lebensmittel- und Biochemische Technologie kann er sich seine fachlichen Träume erfüllen. „Ich konnte Bakterien gentechnisch modifizieren, Arzneistoffe mitentwickeln und alle Sparten ausprobieren.“, erinnert er sich. Ein Arbeitsschwerpunkt war die Bekämpfung von HIV. Als Erasmus-Student verbringt er ein Semester an der Uni Rostock. „Das war spannend. Dort wurde die Biochemie aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Und beide Sichtweisen, die Prager und die Rostocker, zu kombinieren, hat mich ganz schön nach vorne geschubst.“

Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelt Blažek neue Stoffe gegen Viren und modifiziert diese dann mit Enzymen, so dass sie vom Organismus besser aufgenommen werden. „Die Wissenschaft ist schon spannend. Aber es droht alle 2 Jahre der Verlust des Arbeitsplatzes. Das ist nicht schön. Und es gibt viele promovierte Leute auf dem Arbeitsmarkt.“

Als seine Tochter zur Welt kommt orientiert sich Blažek neu. Er bewirbt sich in Schwerin an der ECOLEA als Lehrkraft für Chemie. Wochenlang wartet er auf eine Antwort. Er fragt nach und erfährt, er müsse einen „Gleichstellungsnachweis“ vorlegen. Diesen beantragt er im Kultusministerium und nach nur 10 Monaten liegt die Urkunde in seinem Briefkasten.

Zum Vorstellungsgespräch kommt er in die Landeshauptstadt. „Ich habe am Ufer des Pfaffenteichs gesessen, meine Frau angerufen und gesagt‚ „Schatz, wir ziehen nach Schwerin. Es ist so schön hier, wir werden Schweriner.“ 2 Jahre arbeitet er an der Schule.

Heute unterrichtet der promovierte Biochemiker am Regionalen Beruflichen Bildungszentrum Ribnitz-Damgarten angehende Umwelttechniker und Wasserversorger sowie die Gymnasiasten. Er ist Mitglied des IHK-Prüfungsausschusses. Der Arbeitsweg macht ihm nichts aus. „Ich fahre mit dem Zug und arbeite in der Bahn. Die Fahrzeiten sind dann Bürozeiten.“

Seit 8 Jahren wohnt die Familie jetzt auf dem Dreesch. „Wir haben in Schwerin alles, was wir brauchen. Und ehrlich, es wäre schöner, wenn die Randgebiete der Stadt auch die gesamte Schweriner Gesellschaft abbilden würden und mehr für wissbegierige Kinder getan würde.“, meint Jiři Blažek, der mit seiner Familie auf der Suche nach einem eigenen Häuschen ist.