Als Straßenmusiker macht er Schwerin lebenswert Jochen Nickel: Saxophonist
Die Blockflöte hatte ich längst geschmissen. Als ich 14 Jahre alt war, haben meine Eltern mich gefragt, ob ich nicht nochmal ein Instrument lernen will. Und sie haben immer wieder gefragt. Da musste ich echt überlegen und habe dann Saxophon gesagt. Mein Vater war Kaffeeröster. Er hat den Kaffee auch ausgetragen, auch in die Tanzlokale, die es damals gab. Da hat er dann einen Saxophonisten von der Bühne geholt und zu dem gesagt: „Hier mein Sohn will Saxophon lernen.“
Der alte Mann hat mir so'n dickes Ding, ein Tenorsaxophon, um den Hals gehängt. Ich habe ihn fragend angeguckt. Und jetzt? „Ja rein in den Mund und blasen!“ Das war der ganze Unterricht. - Trotzdem hat mich das soweit animiert, dass ich mir ein eigens Saxophon gekauft hab - irgend so ein Teil - und dann alleine weitergemacht hab.
Nach vielen Jahren, ich konnte schon einige Stücke spielen, bin ich dann zum ersten Mal zu einem richtigen Lehrer gegangen. Der hat dann mal hingeguckt, was ich da mache. „Das hab‘ ich ja noch nie gesehen.“, hat er gesagt und mir dann gezeigt, wie man’s richtig macht. Das hat mich total demoralisiert.
Ich hab‘ dann aufgehört und erst mit 46 Jahren wieder angefangen. Vor 13 Jahren. Damals hab ich eine Lehrerin getroffen, ein ganz tolle Pädagogin, die wusste genau, worauf man achten muss. Sie hat mir gezeigt, wie ich mich verbessern kann, wie ich weiterkomme, was ich machen muss. Die hat mich auf dem Weg geschickt. Von da an ging es immer weiter. Mit dem Üben. Erst zweimal am Tag 10 Minuten, dann war die Puste weg. Dann 15 Minuten, 30 Minuten. Dann wurde es eine Stunde, dann zwei und dann drei Stunden. Und dann wurde ich das erste Mal gefragt, ob ich nicht Spielen kann.
Die Auftritte wurden mehr und für meinen eigentlichen Beruf war langsam immer weniger Zeit da. Ich musste also eine Entscheidung treffen: entweder das Musizieren wieder runterfahren oder gucken, dass ich damit auch Geld verdiene. Sonst geht das nicht.
Ich habe aktiv versucht mehr Auftritte zu kriegen. Geburtstage, Hochzeiten, Firmenfeiern, Trauerfeiern, Vernissagen. Egal was und auch fast egal wo. Rheinland, Thüringen, Flensburg, Ruhrgebiet, Schwerin.
Die Schweriner kennen mich durch die Straßenmusik. Neulich sagte eine ältere Frau, sie war den Tränen nah, sie sei so gerührt von der Musik, aber sie könne mir nicht so viel Geld geben, weil sie selber nur wenig habe. Das war sehr rührend. Wie auch die Frau, die stehen blieb und zu hörte, als ich „Bésame mucho“ spielte. Sie zeigte mir dann ihre Gänsehaut. Bei dem Lied habe sie einst ihren verstorbenen Mann kennengelernt.
Mensch, Jochen Nickel, was ist denn Deine Musik, was willst Du wirklich mal spielen? Das habe ich mich oft gefragt. Ich bin da so reingerutscht. Hildegard Knef, Heavy Metal, Klezmer.- Wenn mich Leute fragen: „Können sie das auch spielen oder das oder das?“ Dann lerne ich etwas dazu Inzwischen habe ich ein Programm von 6 Stunden.
In Schwerin wohne ich jetzt seit 2014 und ich lebe mit meiner Familie gerne hier. Vorher war ich viel unterwegs, habe ich Frankreich gelebt und mit Hilfe von vielen Leute dort ein Haus gebaut. Ich bin gelernter Tischler, bin LKW gefahren, habe im Hafen gearbeitet, habe Bausanierungen gemacht und als Sachverständiger gearbeitet. Ich brauche immer das Gefühl in Bewegung zu sein. Das geht mir mit Saxophon genauso.
Wenn einer fragt: „Kannst Du morgen bei uns spielen?“ dann klappt das. Ich bin konzentriert, aber habe kein Lampenfieber mehr. Ich muss auch nicht wissen, was ich in 10 oder 20 Jahre machen, ich muss in Gang bleiben.
Seit Jahrzehnten bin ich fernsehfrei. Es ist mir wichtiger, mit anderen zu spielen, mich auszutauschen, von anderen zu lernen. Von Reinhard Lippert zum Beispiel. Vor einer Weile habe ich Pianistin kennengelernt, wir spielen gelegentlich zusammen. Das würde ich gerne weitermachen eine Zeit lang. Es gibt mir das Gefühl weiterzukommen.
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