Ich vergesse manchmal die Artikel … Kamila Steinka aus Polen
Drei Jahre lang: Tische, Kreide, Tafel
„Im Polnischen gibt es keine Artikel, darum vergesse ich sie manchmal beim Sprechen.“, sagt Kamila Steinka lächelnd. Geboren ist sie in Stettin, aufgewachsen in der Stadt Police (Pölitz) mit Mutter, Vater, Bruder und Hund. Der Vater von Kamila Steinka hat dort in einem der größten Chemiewerke Polens Arbeit gefunden und so ist die Familie in die 15 km entfernte Kreisstadt am linken Ufer der Oder, nahe an der Ueckermünder Heide gezogen.
“In der 4. Klasse hatte ich den ersten Deutschunterricht. Bis zur 6. Klasse kam jedes Schuljahr eine neue Lehrkraft und wir lernten 3 Jahre lang immer von vorne dieselben Vokabeln: Tisch, Tafel, Kreide und die Zahlen von 1 bis 20. Mit dem Wort „Bleistift“ habe ich mich schwer getan und es dann mit meiner Tante geübt. Für mich ging es dann mit der neuen Lehrerin in Klasse 7 und dem späteren Wechsel an die Partnerschule in Löcknitz, Deutschland so richtig los.“ Eines ihrer Lieblingsworte ist „unberechenbar“, ihr gefällt die Melodie und sie meint, irgendwie sei sie das auch.
Finanzminsterium wirbt um Auszubildende
Das „Deutsch-Polnische Gymnasium“ entstand 1991 als ein grenzüberschreitendes Projekt in Rahmen der Kommunalgemeinschaft „Pomerania“. Hier lernen deutsche und polnische Kinder gemeinsam. Die polnischen Schüler können an der heutigen „Europaschule“ sowohl das deutsche wie das polnische Abitur machen. „Insgesamt 8 Prüfungen waren das. Und mit dem Fach Englisch hatte ich erst in Klasse 9 angefangen. Dafür spreche ich heute Englisch mit deutschem Akzent.“ sagt Kamila Steinka lachend und fügt hinzu, „Kurz vor den Prüfungen wusste ich noch nicht, was ich danach machen wollte. Ich dachte an einen Au Pair-Job, aber das Finanzministerium von Mecklenburg-Vorpommern warb an unserer Schule um junge Leute aus Polen, die zweisprachig waren und Interesse am „Steuerwesen“ hatten. Da habe ich mich dann gemeldet.“
Zwischen Deutschland und Polen besteht seit 2003 ein „Doppelbesteuerungsabkommen“, das die doppelte Besteuerung von Einkommen und Vermögen in beiden Ländern vermeiden soll. Darüber hinaus streben die Vertragspartner eine verbesserte Zusammenarbeit der Finanzämter in den grenznahen Regionen an. Im Blickpunkt sind auch die grenzüberschreitenden, sogenannten „Karussellgeschäfte“, bei denen durch schwer durchschaubare Kreislaufgeschäfte europaweit mehrere Milliarden € an Umsatzsteuern hinterzogen werden. Aktuell befasst sich damit in Polen eine parlamentarische Untersuchungskommission.
Ihre Ausbildung am Finanzamt Pasewalk und der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow beendete die Diplom-Finanzwirtin als einzige Polin ihres Jahrgangs. Ein paar Jahre blieb sie am Finanzamt in Pasewalk, obwohl sie mit der Stadt nicht warm geworden ist. „Dreimal war ich völlig alleine im Kino – wie ein riesiges Wohnzimmer. Das ist inzwischen geschlossen. Und auch sonst ist dort für junge Leute nichts los. Darum bin ich dann nach Stettin gezogen. Aber meine Steuern habe ich natürlich in Deutschland bezahlt.“
Die Liebe beginnt am Paulsdamm
Und warum nun Schwerin? „In die Stadt habe ich mich schon verliebt, als ich das erste Mal über den Paulsdamm kam, links ein See, rechts ein See, das Schloss und dann das kulturelle Angebot. Das ist doch toll. Hier wollte ich gerne leben. Es gab eine interessante Ausschreibung des Finanzministeriums zum Thema „Internationales Steuerrecht“ und mein damaliger Chef hat mich ermutigt, eine Bewerbung abzugeben. Das hat nicht geklappt. Aber wenig später gab es dann doch die Gelegenheit zu einem Wechsel in die Landeshauptstadt. Da habe ich dann „Ja“ gesagt und am 03.01.2011 mit der Arbeit im Finanzministerium angefangen.“ Ihre Aufgabengebiete waren seitdem vielfältig. Sie nennt das „steuerliche Randgebiete“ und spricht über Erbschafts- und Schenkungssteuer, Besteuerung von Spielbanken, KFZ-Steuern und anderes. Es hat ihr Spaß gemacht und sie hat dort viel gelernt. Nach 7 Jahren war dann aber für sie ein Wechsel fällig und so verstärkt sie seit Anfang 2018 das Team der „Öffentlichkeitsarbeit“ der Finanzverwaltung.
In Ihrer Freizeit engagiert sich Steinka in der Schweriner Sektion der Deutsch-Polnischen Gesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern e.V. Sie organisiert mit Gleichgesinnten Vorträge und Lesungen und stellte 2018 den Schwerinern „111 Gründe, Polen zu lieben“ vor. „Jeden dritten Dienstag im Monat trifft sich unser Stammtisch im Café-Restaurant Platon. Und wir freuen uns über Gäste“, sagt sie. Allerdings ist sie selbst nun eine Weile nicht dabei.
„Unberechenbar“ wie sie ist, geht sie für 3 Monate auf Reisen. Laos und Vietnam möchte sie kennenlernen und unterwegs Yoga machen. Ihre Lieblingsübung? Sie lacht: „Mit geschlossenen Füßen gerade hinstellen, ein paar Mal tief ein- und ausatmen, Arme angewinkelt hochstrecken, Hände schließen, Bauch anspannen und 15 Sekunden halten. Das ist der „Baum“. Und der erdet.“
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-02-11
Länderinfo Polen
78 km Staatsgrenze trennen Mecklenburg-Vorpommern im Osten von der Republik Polen. In unserem Nachbarland, das fast so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, leben rund 39 Millionen Einwohner. 15 bis 18 Millionen Menschen zählen darüber hinaus weltweit zur „Polonia“, der polnischen Diaspora in anderen Ländern. Viele von ihnen leben in der EU sowie den USA, in Kanada, Brasilien und auch Weißrussland und in der Ukraine. Vor allem jungen Menschen verlassen nach wie vor das Land. Zugleich kommen Zuwanderer. Allein 2017 vergab Polen fast 700.000 Aufenthaltstitel an Arbeitssuchende, mehrheitlich aus der Ukraine.
Das Land hat eine wechselvolle Geschichte. Die heutige Staatsform der Republik Polen ist das Ergebnis eines Prozesses, der unter dem kommunistischen Regime mit Streiks im August 1980 begann und 1989 abgeschlossen wurde. Seit 2004 gehört Polen zur EU. Die Wirtschaft wächst. Die Arbeitslosigkeit sinkt seit Jahren und hat 2018 mit 4 % den niedrigsten Stand seit 1991 erreicht. Aus der ehemaligen „Kornkammer Europas“ ist ein Industriestandort mit einem großen Dienstleistungssektor geworden. Wirtschaftszweige mit langer Tradition sind die Lebensmittelindustrie, der Energiesektor, der Bergbau und die Hüttenindustrie, sowie Maschinenbau, Elektrotechnik/ Elektronik, Fahrzeugbau und die Textil- und Bekleidungsindustrie. In der Elektrobranche gilt Polen als der größte Montagestandort für Elektro-Haushaltsgeräte Europas. Polen gilt bei deutschen Unternehmen als einer der attraktivsten Standorte Mittel- und Osteuropas, so das Auswärtige Amt. Vor allem der Zugang zu hohen Fördermitteln, der große, dynamische Binnenmarkt, die Nähe zu Deutschland und anderen wichtigen Exportmärkten, die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Hochschulabsolventen und qualifizierter, flexibler Fachkräfte sowie die Anwesenheit lokaler Zulieferer und Partner locken die Investoren ins Land. Allein in der EU-Förderperiode (2014–2020) erhält Polen mit etwa 105,8 Mrd. Euro den größten Anteil aus den EU-Strukturfonds. Umfragen der internationalen Handelskammern in Polen zeigen aber auch, dass ausländische Unternehmen mangelnde Vorhersehbarkeit der Wirtschaftspolitik, die politische Stabilität und Rechtssicherheit zunehmend kritisch sehen.
Die Nachbarschaft in der Region der Kommunalgemeinschaft „Pomerania“ gestaltet sich lebendig Während anderswo die Infrastruktur wegbricht und die Bevölkerung immer weiter schrumpft, gibt es in Löcknitz drei Schulen, zwei Kitas, drei Supermärkte, zwei Apotheken. Außerdem volle Kirchen und Sportvereine, dank der Zuzügler aus dem Nachbarland. Grenzüberschreitende Unterstützung bei Rettungsdiensten und Feuerwehren sind Alltag. Doch die Kommunalgemeinschaft befürchtet starke Einschnitte bei der Förderung von Projekten in der deutsch-polnischen Grenzregion. Die EU plant, von 2021 an nur noch in Gebieten zu unterstützen, die direkt an der Grenze liegen. Damit würde beispielsweise der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte komplett aus der Förderung herausfallen.