In die Schweriner Stadtvertretung kann er nicht. Mustafa Nemat Ali aus dem Irak

Mustafa Nemat Ali aus dem Irak

Am 26. Mai 2019 ist es soweit. Schwerin wählt. Nur zu gerne wäre der 25jährige Mustafa Nemat Ali für die SPD angetreten und Mitglied der Stadtvertretung geworden. Er bringt gute Voraussetzungen dafür mit. Er lebt und arbeitet in der Landeshauptstadt. Im Dezember 2017 wurde er zum Kreisvorsitzenden der JUSOS in der SPD-Kreisverband Schwerin gewählt. Nemat Ali engagiert sich in der lokalen Politik, organisiert mit seinen Parteifreunden das Fußballturnier „Storch-Heinar-Cup“. Auch seine klare politische Haltung, seine Kenntnis der Schweriner Szene, seine guten Umgangsformen und sein Humor würden ihn zu einem geeigneten Kandidaten machen. Wäre da nicht der § 6 des Landes- und Kommunalwahlgesetzes Mecklenburg-Vorpommern. Dieser regelt die Wählbarkeit der Kandidaten und Mustafa Nemat Ali ist nicht wählbar. Er ist Staatsbürger des Irak.

Mit wurde klar, ich muss etwas unternehmen.

„Guck mal, jetzt tragen die Syrer schon Anzüge! – Das war ein Schlüsselsatz für mich. Ich hörte ihn, als ich auf einer Dienstreise im Zug auf dem Weg nach Waren war. Die jungen Männer sahen mich an und gingen vermutlich davon aus, dass ich sie nicht verstehen würde. Und obwohl ich bereits viele Jahre hier lebte, fühlte ich mich plötzlich skeptisch betrachtet und nicht willkommen. Da war mir klar, ich musste etwas unternehmen, mich engagieren und bin dann schließlich bei den Schweriner JUSOS gelandet.“

Menschen bleiben am Straßenrand liegen

Im Jahr 2000, da war Nemat Ali gerade einmal 6 Jahre alt, machte sich seine Mutter mit ihm und seiner Schwester auf dem Weg. Sie verlassen Kirkuk im Norden des Iraks. Es ging ihnen dort nicht schlecht. Die Mutter arbeitete als Schneiderin, sie hatten ein Haus. Der Vater war als Geschäftsmann für die Regierung tätig. Aber die Zeiten waren unruhig und gefährlich. So wurde per Gesetz ab September 2000 Kritik an Präsident Saddam Hussein mit dem Abschneiden der Zunge bestraft. Zu Fuß und mit Kleinbussen ging es mit Hilfe von Schleusern in Gruppen auf der Route in Richtung Westen zunächst in die Türkei. Er erinnert sich nicht an vieles auf der Flucht, aber daran, dass Menschen, die nicht weiterkonnten, einfach am Straßenrand liegengelassen wurden. „Das war wirklich schrecklich.“, sagt er sichtlich bewegt. „Unser Ziel war London. Unseren Eltern war Bildung wichtig. Und so konnten wir neben Sorani und Arabisch auch schon etwas Englisch. Doch in Deutschland war die Kraft meiner Mutter am Ende und auch das Geld. So landeten wir in der Flüchtlingseinrichtung in Holzendorf.“

Erst Ausbildender, dann Unternehmer in Schwerin

Von dort aus ging es nach Parchim. Hier wurde der Junge eingeschult. Die Mutter fand einen Job auf den Schiffen der Scandlines, darum zogen sie nach Kiel. Dort macht Nemat Ali die Fachhochschulreife und beendet den Schulbesuch.

Zurück geht es nach Parchim. „Eigentlich wollte ich gerne studieren. Naja, aber mein Abschluss war nicht so doll. An der Paulo Freire Grundschule Parchim habe ich ein FSJ (freiwilliges soziales Jahr) gemacht und war mir nicht klar, ob ich lieber Speditionskaufmann oder Automobilkaufmann werden wollte. Ich entschied mich für eine Ausbildung bei der ERGO-Versicherung in Schwerin. Er lacht, wenn er seine Entwicklung als die eines „ziemlich deutschen Jungen“ beschreibt: meist pünktlich und ordentlich, hielt er sich an Absprachen und machte eigentlich nichts mehr ohne Termin. Seine Lehre als Versicherungskaufmann schließt er dann auch erfolgreich ab.

Beruflich ist er viel unterwegs. Mit Lebensgefährtin Laura ist er auch gerne mal privat auf Reisen. Nach Rotterdam, nach Prag oder Paris. „Immer, wenn ich zurück nach Schwerin komme, weiß ich warum ich so gerne hier lebe. Schwerin ist einfach schön, es ist ruhig, man kennt sich und es gibt genug Parkplätze“, sagt er schmunzelnd „Aber eine Universität fehlt. Für junge Leute ist Schwerin ein bisschen uninteressant“. Nemat Alis Freundeskreis ist bunt: Deutsche, Kurden, Russen, Syrer, Armenier sind darunter. Und Freunde sind ihm wichtig. „Meine Großeltern, Onkels und Tanten, die Familie hat einen hohen Stellenwert bei uns. Sie fehlen mir schon.“

Anfang 2019 hat er sich in einem Büro in der Lübecker Straße selbstständig gemacht. Neben seiner Arbeit qualifiziert er sich zum Versicherungsfachwirt. Er ist also gut beschäftigt. Und doch, dass er zu den Wahlen im Mai nicht kandidieren darf, wurmt den jungen Mann schon ein bisschen. „Aber erst einmal muss das mit dem Aufenthaltsstatus und der deutschen Staatsbürgerschaft geklärt sein. Das geht seinen Gang, dauert eben.“, sagt er weniger glücklich und lobt zugleich, dass in Deutschland alles gut geregelt sei. Was ihm sonst an Deutschland gut gefällt? „“Falscher Hase“, wer das Gericht erfunden hat, müsste einen Preis bekommen.“

Wichtig: ins Gespräch kommen.

Ausländer, Versicherungsfachmann und linker Lokalpolitiker. Damit könnte Mustafa Nemat Ali viele Vorurteile bedienen, ist so etwas wie ein „3-fach-Schwarzes-Schaf“. Und irgendwie passt er doch in keine dieser Schubladen. „Ja, ich komme gut klar an Orten, an denen ich auf den ersten Blick nicht reinpasse. Es gibt schwarze Schafe in meiner Branche, solche, die Leuten alles Mögliche aufschwatzen und sich die Taschen füllen. Die gibt es doch überall. Ich finde es wichtig, miteinander zu sprechen. Im Geschäft, in der Politik, überhaupt. Nur wenn Menschen einander begegnen, können sie ihre Gedanken und Meinungen austauschen. Ich interessiere mich einfach für die Menschen um mich herum und komme gerne mit neuen Leuten in Gespräch. Das ist ausbaufähig und darum engagiere ich mich auch im Bereich „Integration durch Sport“. – Wenn ich mal ein Jahr lang kein Geld verdienen müsste, dann würde ich mich sozial engagieren, gerne auch international.“ Aus seinem Mund klingt das überzeugend.

Dieser Artikel ist (gekürzt) auch in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-03-25 erschienen.

Länderinfo Irak

Der Irak hat viele Nachbarn: Iran, Kuwait, Saudi-Arabien, Syrien, Jordanien, Türkei. Teile des Landes sind bekannt als „Mesopotamien“, als Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Den Norden bildet die Autonome Region Kurdistan. Hier leben knapp 6 Millionen der insgesamt 38 Millionen Einwohner des Landes.

Die Hauptstadt Bagdad ist Sitz der Regierung, die laut Verfassung nur im Einvernehmen zwischen dem kurdischen, dem schiitischen und den sunnitischen Vertreter im Präsidialrat ernannt werden kann. Der Irak erholt sich nur langsam von langen Kriegs-, Bürgerkriegs- und Besatzungsphasen.

Auf der Weltrangliste der Länder mit den meisten Bodenschätzen steht das Land auf Platz 4. Die Wirtschaft basiert wesentlich auf dem Export von Erdöl und zu einem geringen Teil auf Landwirtschaft. Auf dem von Transparency International veröffentlichten Korruptionswahrnehmungsindex rangiert das Land auf Platz 169 von 180.