Lernen hat ihr Spaß gemacht Nataŝa Dramićanin
„Für mich ist es erst einmal wichtig, den Menschen zu sehen und mich zu fragen, was kann ich für ihn tun oder er für mich. Das ist für mich wichtiger als zu wissen, ob er aus Serbien, dem Kosovo, Albanien oder sonst woher kommt.“, meint Nataŝa Dramićanin aus Ivanjica, einer Kleinstadt im Südwesten von Serbien und stellt klar: Menschlichkeit geht bei ihr vor Staatsangehörigkeit. Als sie 1987 im damaligen Jugoslawien zur Welt kommt, sind die Zeiten unruhig. Die blockfreie Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien zerfällt. Kriege prägen die neunziger Jahre, in denen Nataŝa Dramićanin aufwächst.
Menschen haben vieles gemeinsam
„Das war anders als heute mit den Handys.“, sagt sie. „Als Kinder waren wir nach der Schule und in den Ferien viel draußen und unterwegs. Im Winter zum Skilaufen und Schlittenfahren und im Sommer bei den Großeltern im Dorf. Mein Großvater hat die Wiesen gemäht und wir haben das Gras eingesammelt als Viehfutter für den Winter.“ Vielleicht sind es ihre Erfahrungen aus der Zeit: „Die Menschen haben doch vieles gemeinsam. Sie wollen glücklich sein, genug zum Essen haben, gesund sein, ein Dach über dem Kopf haben. Und für ihre Kinder wünschen sie sich eine bessere Zukunft.“, sagt sie. Und auch ihren Eltern geht es so. Die Mutter ist Verkäuferin, der Vater Automechaniker und Autolackierer. Beide wünschen sich, dass ihre Töchter eine gute Ausbildung erhalten.
Ihre Lieblingsfächer
„Mir hat lernen Spaß gemacht!“, lacht Dramićanin und gibt zu: „Fremdsprachen waren nichts für mich.“ Ihre Lieblingsfächer waren Chemie und Biologie. Dennoch war sie unentschlossen, wie es nach dem Abitur weitergehen könnte. „Ein große Leidenschaft für irgendetwas hatte ich nicht.“ Und so folgt sie dem Rat ihres Vaters und entscheidet sich für Medizin. „Er meinte, ich hätte vielleicht das Talent dazu, und nach ein paar Monaten an der Universität in Kragujevac hat es mir dann auch wirklich gut gefallen und ich bin gerne dabeigeblieben.“ Am Stadtrand von Kragujevac kauft ihr Vater ein Grundstück, und die Familie baut dort ein kleines Häuschen für Nataŝa Dramićanin und ihre Schwester. „Alle haben mitgeholfen. Es war ein einfaches Haus. Es gab Platz genug für meine Schwester und mich und wir konnten während der Ausbildung dort wohnen.“, erinnert sie sich. Viel Zeit verbringt die junge Studentin ohnehin in der Bibliothek der Universität. Dort hat sie ihre Bücher, dort lernt sie.
Auch für Ärzte sind feste Jobs Mangelware
Nach dem Abschluss des Studiums 2013 beginnt für Nataŝa Dramićanin das sogenannte „praktische Jahr“. An dessen Ende steht das Staatsexamen und der Einstieg in den Alltag einer Allgemeinärztin. „Am Anfang habe ich unbezahlt im Gesundheitszentrum meiner Heimatstadt Ivanjica gearbeitet und später war ich 6 Monate als Mutterschaftsvertretung für eine Kollegin angestellt. Im Sommer 2016 habe ich Sportfreizeiten für Kinder medizinisch betreut.“ Eine feste Anstellung findet sie nicht. Da ist der Zusammenhalt in der Familie wichtig, um über die Runden zu kommen. So wie Nataŝa Dramićanin geht es besonders vielen jungen Medizinern in Serbien. „Im Studium habe ich daran nicht gedacht, mein Land zu verlassen. Doch dann wächst die Unzufriedenheit. Alles ist unsicher. Ohne Einkommen, ohne feste Arbeit kannst du doch keine Familie gründen. Und so gehen junge serbische Ärzte ins Ausland. Nach Skandinavien, in die Schweiz oder auch nach Deutschland. In der aktuellen Corona-Krise sind in Serbien viele wenigstens befristet eingestellt worden. Aber was ist danach?“
Fachsprachen und Anerkennungsprüfung
Mit der Hilfe eines professionellen Vermittlers aus Belgrad, einem Visum zur Arbeitssuche und kommt Dramićanin 2017 nach Hannover. „Dort habe ich Deutsch als medizinische Fachsprache gelernt.“ Bei der Ärztekammer in Rostock besteht sie Sprachenprüfung und tritt mit der Berufserlaubnis in Neubrandenburg ihre erste Arbeitsstelle in Deutschland an. Das ist ein wichtiger Schritt. Doch damit ist es nicht getan. Es fehlt noch die sogenannte „Gleichwertigkeitsprüfung“ des in Serbien abgeschlossenen Studiums mit einem deutschen Abschluss. Bis dahin bleibt Nataŝa Dramićanin die Möglichkeit, mit einer befristeten Berufserlaubnis tätig zu sein. In der Helios Klinik Leezen hat sie kürzlich ihren Arbeitsvertrag verlängert und bereitet sich jetzt neben der Arbeit intensiv auf diese Prüfung vor. „Diese Kenntnisprüfung umfasst die Gebiete der Inneren Medizin und der Chirurgie.“, sagt sie und ein bisschen ist der Druck spürbar, den sie sich macht, denn sie will unbedingt bestehen. „Eigentlich bin ich ein Typ, der alleine lernt, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich mich dieses Mal mit anderen zusammentue, mich austausche und wir gemeinsam lernen.“
In Schwerin lebt Dramićanin gern. Sie mag die Atmosphäre in der Landeshauptstadt und schätzt die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Kollegen und Freunde. „Meine Mutter und meine Schwester haben mich hier bereits besucht. Sie sind geflogen. Mein Vater möchte unbedingt mit dem Auto kommen. Er mag nicht fliegen. Und unter den Corona-Bedingungen werde ich auf seinen Besuch wohl noch etwas warten müssen.“
Länderinfo Serbien
Die Republik Serbien ist ein Binnenstaat in Südost- und Mitteleuropa. Serbien grenzt im Norden an Ungarn, im Osten an Rumänien und Bulgarien, im Süden an Nordmazedonien und Albanien bzw. Kosovo, im Südwesten an Montenegro und im Westen an Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Mit rund 7 Millionen Einwohnern liegt Serbien auf Rang 22 der 28 Länder Europas vor Dänemark. Die Hauptstadt Belgrad ist politisches, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum. Ein Fünftel der Bewohner Serbiens lebt hier.