Den Kindern gehört die Zukunft Rania Baddowr aus Syrien

Rania Baddowr, Syrien

"Manche Menschen sprechen nicht mit ihren Nachbarn, wenn sie einer anderen Religionsgemeinschaft oder politischen Partei angehören. Das mache ich nicht. Ich glaube, man muss miteinander sprechen und nach gemeinsamen Lösungen für eine gute Gesellschaft suchen.“, sagt Rania Baddowr.

Baddowr stammt aus Salamieh bei Hama in Syrien. Sie setzt sich für eine offene, multireligiöse und multikulturelle Gesellschaft ein.

Auch ihr Ehemann,Ayham, hatte diese Haltung. Er hat sich gegen die Unterdrückung durch das Regierungsregime gestellt und ebenso gegen religiöse Extremisten. Er verlor deswegen seine Arbeit und wurde angeklagt. Im Februar 2015 machte er sich auf den Weg in die Türkei, um einer Verhaftung zu entgehen. Seitdem hat Rania Baddowr nichts mehr von ihrem Mann gehört. „Ich weiß nicht, ob er noch lebt oder ob er bereits tot ist. Eine Vermutung ist, dass Ayhan gefangen wurde und in einem Gefängnis des Regimes von Asad sitzt.“, so Baldower.

Als auch ihr ältester Sohn Ebrahim 2015, damals ist er 16 Jahre alt, nach der Teilnahme an einer Demonstration für einige Tage im Gefängnis landet, entscheidet sie sich zur Flucht. Mit ihren 2 Söhnen und dem Sohn einer Freundin macht sie sich auf dem Weg. Zunächst nach Beirut in den Libanon, von dort in die Türkei. Per Schlauchboot nach Griechenland und dann die Balkanroute mal zu Fuß, mal ein Stück mit dem Bus Richtung Nordeuropa.

„Ich war froh, dass wir alle lebend hier angekommen sind und habe sofort mit einem Sprachkurs angefangen, dann ein Praktikum. Ich gucke nach vorn, bin aktiv und wenn mal etwas schiefläuft, dann analysiere ich die Situation und suche nach einer Lösung. Aber ich habe plötzlich gemerkt, das funktioniert nicht mehr richtig. Ich hatte nicht mehr die Energie, konnte auch nicht mehr so schnell lernen, wie ich es in Syrien konnte.“, sagt Baddowr und beschreibt, wie eine tiefe Traurigkeit sie langsam erfasste und sie das nicht mehr mit eigener Kraft steuern konnte. “Ich habe mir selber viel Druck gemacht, mir keine Pause erlaubt. Das war einfach zu viel.“

In Syrien war Rania Baddowr beruflich erfolgreich und eine anerkannte Expertin. Sie hat nach dem Abitur 3 Jahre eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht, dann 2 Jahre als Hebamme und im Anschluss 3 Jahre als Hebamme in einem öffentlichen Krankenhaus gearbeitet. Nach einer Fortbildung in Reproduktionsmedizin in Kooperation mit der WHO - Weltgesundheitsorganisation war sie verantwortlich für die Weiterbidlung und Anleitung von Hebammen.

Als Rania Baddowr selbst Mutter wird, ist ihr die Früherziehung ihres Sohnes wichtig. Sie liest viel und fragt nach Rat. So sucht sie eines Tages eine Beratungsstelle „Childhood Development Programm“ der Aga Khan Stiftung auf. „Ich wollte nur wissen, ob ich alles richtig mache, habe dort meine Ideen erzählt und viele Fragen gestellt. Und wenig später wurde ich Mitarbeiterin und Leiterin eines Projektes für die Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern.“, lacht sie. In den Folgejahren arbeitet sie mit den öffentlichen Krankenhäusern und Gesundheitszentren zusammen. Das Spektrum ist breit: Verhütungs- und, Schwangerschaftsberatung, Begleitung nach der Entbindung, Gesundheitsfürsorge für Mutter und Kind und auch Beratung von Frauen in der Menopause. – Ihre Dienst- und Fortbildungsreisen führen sie in die Türkei, nach Kenia und Dubai.

In Syrien hat Rania Baddowr gut 20 Jahre gearbeitet. 2015 verlässt sie ihre Arbeitsstelle bei der Aga Khan-Stiftung. Sie verkauft ihren Schmuck, für den sie ungefähr 1.000 € bekommt, nimmt ihre Ersparnisse und deckt damit die Kosten der Flucht für sich und ihre Söhne nach Europa. Ihre Suche nach ihrem Ehemann mit Hilfe des Roten Kreuzes und Human Rights Watch war bis heute erfolglos. – Das geht nicht spurlos an ihr vorüber. „Meine Batterie war irgendwann alle.“

Inzwischen studiert Sohn Ibrahim in Berlin Maschinenbau und Khaled macht Abitur. Rania Baddowr drückt wieder die Schulbank. Sie macht seit 2018 eine Ausbildung zur Erzieherin.

"Kinder sind die Grundlage unserer Gesellschaft. Wenn wir den Umgang mit Kindern verändern, sie richtig gut betreuen, so dass die Kinder selbstständig und selbstbewusst werden, dann ist das gut für die Gesellschaft. Das ist eine Aufgabe für alle. Für die Eltern, die Erzieher und Lehrer.“, sagt Baddowr und strahlt, wenn sie über ihre Praxisphase bei „Future Kids“ erzählt. „Meine Sprache muss noch besser werden. Wenn ich zu einem Kind sage: „Wasch bitte Deine Hände“, dann fragt das Kind „Warum?“ Und ich muss es ihm gut erklären können.“ Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie einen Beitrag zu einer guten Erziehung und einer besseren Zukunft leisten will. Ihr großer Traum: Mit ihrer Erfahrung und Ausbildung ein inklusives Projekt mit einem Team entwickeln, in dem alle Kinder ihre Potentiale bestmöglich entfalten können.

„Heute ist Schwerin meine Heimat. Wenn ich mal woanders bin, vermisse ich Schwerin. Ich bin aus einem dunklen Tal herausgekommen. Meine Freunde hier haben mir sehr geholfen. Ich war immer sicher, dass es einen Weg für mich gibt, dass es einen Sinn haben muss, dass ich hier bin. Heute liebe meine Arbeit, das Fahrradfahren und freue mich darauf, bald einen Führerschein zu machen.“

Länderinfo Syrien

Syrien ist ungefähr halb so groß wie Deutschland. Die heutigen Grenzen erhielt Syrien nach dem Ersten Weltkrieg durch die Aufteilung des bis dahin vom Osmanischen Reich beherrschten Arabischen Ostens unter die Siegermächte Vereinigtes Königreich und Frankreich.