Jetzt läuft das Pferd von rechts nach links Rudyard Ramirez aus Venezuela

Rudyard Ramirez aus Venezuela

„Bitte, wenn Sie die Flagge Venezuelas nehmen, dann nehmen Sie die mit den 7 Sternen.“, sagt Rudyard Ramirez (58) aus Barquisimeto und drückt damit seine Haltung zur politischen Situation in Venezuela aus.

Die Flagge des Landes wurde im Laufe der Geschichte mehrfach verändert. Ab Mai 1817 zeigte sie sieben, ab November 1817 acht Sterne. Dann zunächst keine, ab 1859 wieder sieben Sterne. Ihre Darstellung variierte immer mal wieder. Auf Veranlassung von Hugo Chavez trägt die Flagge seit dem 12. März 2006 wieder acht Sterne. Damals wurde auch das Staatswappen verändert. Chavez jüngste Tochter Rosa wollte nicht, dass das Pferd im Wappen von links nach rechts läuft. „Jetzt läuft das Pferd von rechts nach links.“, sagt Ramirez, den die Geschichte seines Herkunftslandes auch nach 22 Jahren in Mecklenburg-Vorpommern noch immer bewegt.

„Ich komme aus einem sehr heißen Land mit 27 Grad Durchschnittstemperatur und habe die Hitze immer gehasst. Meine Biologie ist dafür nicht geschaffen. In der Sonne wurde ich als Kind rot wie eine Krabbe.“, sagt Rudyard Ramirez an diesem grauen Tag mit Nieselregen. „Den Ausdruck „Scheißwetter“ habe ich erstmals in Deutschland gehört. Aber ehrlich, die Deutschen wissen nicht, was Regen ist. In Caracas haben wir in der Winterzeit locker 3 bis 5 Tage dunklen, schwarzen Himmel mit Regenfällen, bei denen man keine 5 Meter weit sehen konnte. Und niemand hat jemals „Scheißwetter“ gesagt.“, lacht Ramirez. „Alles eine Sache der Einstellung zu den Dingen, die wir nicht ändern können!“

„Geboren bin ich in einem reichen Land. Ein bisschen wie das Deutschland Südamerikas. Es gab Armut, aber es gab kein Elend. Heute ist es ein gespaltenes, ein zerstörtes Land mit viel Kriminalität. Ich lebe in der Angst einen Anruf zu bekommen, dass jemandem aus meiner Familie etwas passiert ist.“, so Ramirez, der in der Hauptstadt Caracas aufgewachsen ist.

An der Simón Bolivar Universität studiert er Biologie. „Meine Diplomarbeit hat den Stand eines deutschen Doktorats. Sie ist 500 Seiten lang und hat neues Wissen erschaffen und ist von der New York Zoological Society bezahlt worden.“ Ein Jahr lang erforscht Ramirez in einer Höhle die „Fettschwalbe“. Ihr Name rührt von einer alten Tradition her. Menschen sammelten die Jungvögel ein, wenn diese gerade besonders wohlgenährt und kurz vor dem Ausfliegen waren. Die Vögel wurden so lange gekocht, bis man aus ihnen Öl gewonnen hatte, das man unter anderem für Lampen verwendete, berichtete der Entdeckungsreisende Alexander von Humboldt in seinen Aufzeichnungen. Infolge der Zerstörung vieler Wälder, ging die Nahrungsgrundlage der Tiere verloren und die Bestände schrumpften stark.

„Versuchen Sie einmal als Diplom-Biologe aus Lateinamerika hier Arbeit zu finden.“, meint Ramirez und spricht von seinen Erfahrungen mit der „Arroganz der Systeme“. „Ich habe immer gearbeitet, war Chefzoologe, habe Bücher von Tür zu Tür verkauft, war Kellner und Reiseleiter. Ich tue, was ich tun muss und was ich kann. Darum verstehe ich Arbeitslosigkeit auch nicht. Eine Arbeit ist manchmal schlecht bezahlt, doch es ist auch eine Frage der Würde.“

Den Job als Reiseleiter hat Rudyard Ramirez bekommen, weil er mutig behauptet, er könne Deutsch, obwohl nur ein Jahr Deutschunterricht hatte. Mit dem Wörterbuch unter dem Arm und dem großen Verständnis der deutschen Touristen, die Venezuela kennenlernen wollten, lernt er weiter. Das gelingt ihm offensichtlich gut. Irgendwann hat er viele Freunde und Kontakte in Deutschland. „Sechs Mal hat man mir ein Trikot der Fußballnationalmannschaft geschickt, aber nur eins ist angekommen.“, schmunzelt Ramirez.

„Oft haben die Leute in ihrem Urlaub schlecht von Deutschland gesprochen und ich habe mich gefragt, wenn es so schlecht ist, warum lebst du dann da?“ Ramirez wollte es genau wissen und kommt als Tourist nach Deutschland. Er besucht ehemalige Reiseteilnehmer. „Ich habe festgestellt, dass viele mit ihrem Pessimismus wirklich übertrieben hatten. Dieses Land hat etwas, das ich als Lateinamerikaner seltsamerweise mag: Ordnung und Regeln. Auf dieser Reise kommt er auch in die „Metropole Goldberg“, wie er lachend sagt. Hier lernt er seine heutige Frau kennen. Sie ist Lehrerin an einem Gymnasium.

Heute ist Rudyard Ramirez selbstständig. Als Dozent und Lehrer unterrichtet er Spanisch und ist Trainer für Interkulturalität unter anderem in Schwerin, Parchim, Ludwigslust und an seinem aktuellen Wohnort Lübz. Damit kommt er so einigermaßen über die Runden. „Wenn ich nicht meine Frau hätte, wäre es schwieriger“, sagt er und lacht. „In Venezuela heißt es: ‘man deckt sich so zu, wie die Decke reicht‘.

Als Sprachlehrer beobachtet er einen unterschiedlichen Umgang mit Anglizismen im Spanischen und im Deutschen. „Im Spanischen passen wir die Worte an. Aus ‚Service‘ wird ‚Servicio‘. Das kann dann jeder Spanischsprechende lesen, schreiben und verstehen. Im Deutschen bleibt ‚Service‘ einfach ‚Service‘ Das entspricht nicht dem deutschen Lautklang. Wie wäre es mit ‚Sörwiss‘?, fragt er. „Da geht doch Kultur und Vielfalt verloren.“

Inzwischen ist Ramirez deutscher Staatsbürger. „Das ist für mich ein Liebesbeweis an Deutschland. Ich glaube nicht an eine doppelte Staatsbürgerschaft. Das ist eine „Doppeltreue“, die für mich nicht geht. So wie Rosinen picken. Ich habe mich Deutschland verpflichtet und möchte hier meinen Beitrag für ein besseres Leben leisten.“

Rudyard Ramirez fragt sich immer wieder mal: „Wo gehört man hin? Ich denke, da wo ich mich wohl fühle gehöre ich hin. Vielleicht schreib ich mal ein Buch über meine Erfahrungen in Deutschland. Den Titel habe ich schon: „Manchmal kommt mir Deutschland Spanisch vor.“

Länderinfo Venezuela

Die Bolivarische Republik Venezuela ist ein südamerikanischer Staat an der Karibikküste. Er grenzt im Westen an Kolumbien und im Osten an Guyana, im Süden an Brasilien