Heute umgekehrt: Schwerinerin in der Welt zuhause Sabine Löschel von Schwerin nach Sao Paulo

Sabine Löschel

„Meinen Schreibtisch habe ich so hingestellt, dass ich aus dem Fenster den Urwald sehen kann.“, sagt Sabine Löschel. Vor knapp 3 Jahren hat die Lehrerin ihren Schweriner Arbeitsplatz gegen eine neue Aufgabe in Brasilien eingetauscht. „Ich bin ein DDR-Kind und war nach meinem Studium in Jena Lehrerin für Physik und Astronomie in Schwerin. Nach der Wende waren wir plötzlich „über“. Die Stundentafeln der 6. und 7. Klassen änderten sich. Es wurde viel weniger Physik unterrichtet. Die Hälfte der Lehrkräfte wurde nicht mehr gebraucht. Heute ist das unvorstellbar.“, so Löschel.

Sie wechselt an das Berufsschulförderzentrum und macht zeitgleich in Hamburg ein Aufbaustudium im Bereich „Ernährung und Hauswirtschaft“. Aber auch hier werden nach einigen Jahren Lehrkräfte abgebaut und Berufsschulstandorte geschlossen. Sabine Löschel ist engagiert. Sie möchte in der Schule etwas bewegen und setzt sich selber erneut auf die Schulbank. „Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat uns die Gelegenheit zum Fernstudium für Schulmanagement an der Universität in Kaiserslautern geboten. Da habe ich zugegriffen.“

Als Beraterin für Schulqualität wechselt Sabine Löschel an das IQ M-V, das Institut für Qualitätsentwicklung Mecklenburg-Vorpommern. Ab 2015 unterrichtet sie auch junge Migranten. Die Erfahrungen, die sie hier sammelt und ihre Expertise aus der Qualitätsentwicklung, den allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen werden zu ihrer Eintrittskarte in den Deutschen Auslandsschuldienst. „Meine Kinder waren inzwischen groß und jetzt war der Zeitpunkt, noch einmal etwas zu verändern“, sagt Löschel. „Eigentlich hatte ich mich als Fachberaterin in Buenos Aires beworben, aber dort erhielt jemand anderes den Zuschlag. Sao Paulo in Brasilien wurde mir als Alternative angeboten.“ Für Sabine Löschel geht mit dem neuen Job in Südamerika ein Kindheitstraum in Erfüllung.

In Brasilien betreut sie als Prozessbegleiterin nun die fünf Standorte der Deutschen Schulen in Brasilien. Vier Standorte liegen in der Region Sao Paulo und einer ist Rio de Janeiro. Die Schulen und ihre Standorte sind unterschiedlich groß. In Morumbi, dort wo sich das Büro von Sabine Löschel befindet, sind zurzeit etwa 6.000 Schüler, in Rio de Janeiro sind es etwa 1.300. Morumbi gehört zum Colegio Visconde de Porto Seguro. Gegründet 1878 ist es mit insgesamt 9.000 Schülern die weltweit größte deutsche Auslandsschule. „Wenn wir zu Beginn des Schuljahres eine Lehrerversammlung in Morumbi haben, brauchen wir einen Saal, der größer ist als das Schweriner Capitol.“, lacht Löschel.

Ihr Arbeitsalltag ist abwechslungsreich. Sabine Löschel organisiert 15 Fortbildungen im Jahr, berät Schulleitungen, Fachkonferenzen und Jahrgangsteams in den verschiedenen Schulen. Darum ist sie viel im Land unterwegs. „Thema Nummer Eins ist der Sprachunterricht Deutsch. Etwa 95% der Kinder kommen aus brasilianischen Familien. Nur in wenigen Familien wird Deutsch gesprochen. Doch viele wollen das deutsche Abitur machen und in Europa studieren. Die Abiturprüfung machen die meisten hier also in einer Fremdsprache.“ Die Deutschen Schulen in Brasilien sind Privatschulen. Sie haben einen guten Ruf. „Eine normale brasilianische Familie kann das nicht bezahlen.“, meint Löschel. Einige Eltern sparen sich das Geld zusammen. Aber viele Kinder kommen aus wohlhabenden und anspruchsvollen Elternhäusern.“, so Löschel. „Das spüren auch die Lehrkräfte, die aus Deutschland kommend für ein paar Jahre hier arbeiten. Ihre Arbeitstage sind lang und prall gefüllt. Auch an Wochenenden finden immer wieder schulische Veranstaltungen statt. Dafür haben die Lehrkräfte hier die Chance, schnell Verantwortung über den Unterricht hinaus zu übernehmen.

Die Ausstattung der Schulen ist sehr gut. „Für alles gibt es Mitarbeiter. Wenn ich mal ein Computerproblem habe, ist sofort jemand da. Hier an der Schule gibt es eine Kopierabteilung und auch eine Kommunikationsabteilung. Es gibt Pools oder Schwimmhallen, Sportplätze und -hallen, richtig gute Musik- und Naturwissenschaftsräume und Bibliotheken.“, beschreibt Löschel einige Unterschiede zu den Schulen hierzulande.

„Ich habe mehr gefunden, als ich erwartet habe.“, sagt sie. „Unglaublich freundliche und hilfsbereite Menschen zum Beispiel. Ich habe einst Russisch gelernt. Mein Englisch ist mäßig und Portugiesisch zu lernen ist wirklich ein Kraftakt. Aber alle versuchen mich zu verstehen. Niemand hat zu mir gesagt, ich soll erstmal Portugiesisch lernen. Ich denke oft an die Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind. Kulturfragen haben sich für mich neu sortiert.“, sagt sie.

„Man sieht Deutschland aus der Ferne. Ich sehe auch, wie es hier wirkt, wenn sich Deutsche äußern. In Sachen Umwelt ist in Brasilien wirklich nicht alles gut. Aber es ist nicht nur der brasilianische Urwald, der brennt. Auch in Deutschland ist vieles nicht in Ordnung. Und seit ich hier lebe, frage ich mich schon, woher diese herablassende Haltung kommt, mit der Leute in Deutschland, in Europa meinen, den Brasilianern und anderen sagen zu können, wie sie leben sollen.“, so Löschel nachdenklich. „Das Maßregeln der Länder in Südamerika finde ich unpassend. In Deutschland kommt die AfD hoch und wer weiß, wo das noch hinführt. Da gäbe es genug zu tun.“

Ihr Mann ist in Mecklenburg-Vorpommern geblieben. „Ihm gefällt es hier auch, aber leben möchte er hier nicht. Er ist lieber in Crivitz.“, lächelt sie. „Für Partner ist es auch nicht leicht hier, da sie in Brasilien nicht arbeiten dürfen. Und Weihnachten war ich ja auch Zuhause.“ Vom Land hat sie inzwischen einiges gesehen und mittlerweile fährt Sabine Löschel in Sao Paulo auch mit dem Auto. „Das habe ich mich erst nicht getraut. Der Verkehr wirkt chaotisch. Doch hier gilt der Grundsatz „Schau auf den anderen“. In Deutschland heißt der Grundsatz „Ich habe Recht. Vielleicht habe ich hier deshalb auch noch keinen Unfall gesehen. Ganz anders als in Schwerin.“, lacht sie.

Im Sommer 2020 wird Sabine Löschel wieder in Schwerin am Schreibtisch sitzen. Worauf ihr Blick dann fallen wird ist noch nicht klar. Aber Urwald wird es sicher nicht sein.

Auf dem Foto ist Sabine Löschel (Mitte) mit ihren Kolleginnen Claudia Endres und Jessica Almeida zu sehen