Rammstein: Zu weit und zu teuer Veronika Gohla aus der Ukraine
Mit gerade mal 17 Jahren machte sie sich 2011 auf den Weg ins Studium. Damals hieß sie noch Veronika Kuznetsova, was so viel wie „die Frau des Schmieds“ bedeutet. Nach elf Schuljahren in Odessa, im Süden der Ukraine am Schwarzen Meer, ging es nach Polen. Nach Breslau. Und eigentlich wollte sie dort auch bleiben.
Papa besorgt CDs von Rammstein
„Meine Eltern legten Wert darauf, dass ich Sprachen lerne. Deutsch verfolgt mich seit der zweiten Schulklasse. Besonders mein Vater wünschte sich immer sehr, dass ich auf unseren Reisen nach Österreich für ihn übersetzen könne. Das hat natürlich nicht von Anfang an geklappt. Aber um ihn nicht zu enttäuschen, habe ich mir Mühe gegeben. Leicht war das nicht. Mit 15 Jahren aber habe ich mich dann klar entschieden und bin in Odessa regelmäßig ins „Bayrische Haus“ gegangen.“ – Was nach einem Bierkeller und Weißwürsten klingt, ist in der Hafenstadt der beste Ort zum Erlenen der deutschen Sprache. 1993 als „Deutsches Kultur- und Begegnungszentrum“ gegründet, wirkt das Haus als Brücke und Mittler zwischen der Ukraine und Deutschland. Eine Lehrerin aus München hat Veronikas Sprachtalent erkannt und gefördert. „Die Band „RAMMSTEIN“ fand ich klasse. 2011 waren sie auf Tour in Europa. Da wäre ich gerne zu einem Konzert gegangen, aber das war leider zu weit und viel zu teuer für mich. Doch weil ich die Texte verstehen wollte, habe ich mich echt angestrengt. Und Papa hat mich mit CDs versorgt. Polnisch war die Lieblingssprache meiner Mutter. Das habe ich fast so nebenbei gelernt“, ergänzt die junge Frau. Und Polen war das Wunschland der Familie. Hier wollten sie leben. Die Drei kannten Polen bereits von einigen Reisen dorthin. Ein bisschen mehr westliche Lebensweise als in der Ukraine und zugleich geprägt vom Osten, so dass nicht alles fremd, sondern auch noch ein wenig vertraut ist. Der Plan: Veronika wird das Studium beenden, Mutter und Vater kommen nach und eröffnen in Polen eine Pension oder ein kleines Hotel. Doch es kam anders.
Während des Studiums im Fachbereich „öffentliche Verwaltung“ an der Universität Breslau lief ihr Jürgen Gohla über den Weg. Er besuchte einen Sprachkurs „Polnisch“. Eine Sprache, die er in seinem Job als Polizeibeamter in Mecklenburg-Vorpommern gut gebrauchen kann. Und er eroberte ihr Herz. Ein Studienaufenthalt im Rahmen eines ERASMUS-Projektes führte sie für 2 Semester an die juristische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Dann beendet sie als Jahrgangsbeste das Studium in Polen. Verwaltung liegt ihr, auch Jura. „Da ist alles klar strukturiert und ziemlich eindeutig geregelt. Wenn ich mich noch einmal für ein Studium entscheiden sollte, wäre es wohl Mathematik oder etwas Naturwissenschaftliches. Aber nun beende ich erst einmal meinen „Ausflug“ in die Kulturwissenschaften und schreibe meine Masterarbeit zum Thema „Satire im Sozialistischen Animationsfilm“ und vergleiche die Satire der DDR, Polens und der Sowjetunion. Das ist wirklich interessant und ein Gewinn für mich. Aber hier ist vieles nicht so eindeutig in der Literatur und der Kunst. Mal ein Schritt nach links, mal einer nach rechts, die Interpretationsspielräume sind recht groß und mir zu beliebig.“
Inzwischen sind Jürgen Gohla und sie verheiratet. Schwerin-Lankow ist seit Februar 2018 ihr neues Zuhause. Anfang März 2019 kam ihr erstes Kind, der kleine Gustav zur Welt. Sie fühlt sich wohl hier. „Ich gehe gerne zu Fuß und erlaufe mir die Stadt. Wenn ich auf der Lübecker Straße in Richtung Innenstadt unterwegs bin und dann nach rechts auf den See blicke, finde ich das wunderschön. Stadt und Natur in einem. Das ist doch toll. Aber hier fehlen junge Leute. Eine Landeshauptstadt braucht eine Universität, sie braucht die damit verbundene Internationalität und Lebendigkeit, die in Kiel oder Greifswald zu finden ist.“
5 statt 20 Formulare
Was ihr sonst hier gefällt? „Das Miteinander finde ich gut. Und die Mentalität. Wenn hier jemand sagt „ich mache das“, dann macht er das auch. Und die Verwaltungen sind als „gute europäische Verwaltungen“ besser organisiert als in der Ukraine. Die Prozesse sind schlanker. Statt 20 Formulare auszufüllen, genügen hier 5 und „Vitamin B“ spielt keine Rolle.“ Beeindruckt ist sie davon, wie prägend die deutsche Kultur der Aufklärung für die Geschichte Europas war. Und von den „Dichtern und Denkern“. So hat sie sich vorgenommen, gezielt den kompletten Kanon der Literatur der gymnasialen Oberstufe zu lesen.
Beruflich ist Gohla auf der Suche. Sie übersetzt und dolmetscht Deutsch, Polnisch, Russisch und natürlich auch Ukrainisch. Gerne würde sie an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege in Güstrow ihre fachlichen Kenntnisse vertiefen. Ach ja, und Englisch lernt sie. Sie ist ehrgeizig. Ihr Ziel ist das Sprachniveau C1. Dies bescheinigt die sprachliche Fähigkeit zur wirksamen und flexiblen Teilnahme am gesellschaftlichen und beruflichen Leben. Dann auch auf Englisch - Zusätzlich zu den anderen Sprachen. Ehrenamtlich engagiert sie sich im Ukrainisch-Deutschen Kulturzentrum SIC e.V.. Sie hat Freude an den Aktivitäten dort, am gemeinsamen Nähen von Frauen aus der Ukraine und Syrien oder am mehrsprachige Lesen 10-10-10.
Wo sie sich in 15 Jahren sieht? „Ich möchte schon noch etwas sehen von der Welt. In einem anderen Land, vielleicht Polen oder Frankreich oder Spanien oder Neuseeland.“, sagt sie. „Und vielleicht klappt es ja auch noch mit einem Konzert von Rammstein. 2019 in Rostock wäre toll gewesen. Nicht mehr zu weit und auch nicht mehr zu teuer, aber eine Karte habe ich nicht erwischt, die waren zu schnell weg.“
Die Eltern von Veronika Gohla sind Odessa geblieben. Sie sieht sie bei gelegentlichen Besuchen und freut sich dann über die vielen Veränderungen in der Heimatstadt. Es gibt inzwischen mehr Kaffees und Restaurants, ein tolles Theater und vor allem humorvolle, freundliche Menschen. „Und ehrlich gesagt, schmeckt mir die polnische und russische Küche ein bisschen besser als die deutsche. Aber Spargel oder auch Ente mit Klößen und Rotkohl sind hier unschlagbar.“, räumt sie lächelnd ein und lässt offen, was denn beim nächsten Besuch auf den Tisch kommt.
Dieser Artikel ist (gekürzt) auch erschienen in der Schweriner Volkszeitung SVZ 2019-05-13.
Länderinfo Ukraine
Die Republik Ukraine, gegründet 1917 als Ukrainische Volksrepublik, ist seit 1991 unabhängig von der Sowjetunion. Das Land steht seit Jahren immer wieder in den Schlagzeilen und sorgt für Gesprächsstoff zwischen Politikern in Ost und West. Die Annexion der Krim 2014 durch Russland, der bewaffnete Konflikt im Osten des Landes und ebenso innenpolitische Themen und Skandale prägen das Bild der Ukraine in den Medien. Nicht ganz doppelt so groß wie Deutschland ist es der größte Staat, dessen Grenzen vollständig in Europa liegen. Der Lebensstandard in Stadt und Land ist sehr unterschiedlich und in den großen Städten am höchsten. Die Ukraine gilt als „Vielvölkerstaat“, in dem mehr als 15 Ethnien leben. Bürgermeister der Hauptstadt Kiew ist Vitali Klitschko. Knapp drei der 43 Millionen Ukrainer leben hier. Etwa 6 Millionen Ukrainer leben im Ausland, die Hälfte davon in Russland. Die Regierung unter dem milliardenschweren Unternehmer Petro Poroschenko orientiert sich in Richtung Westen. Seine stärkste Konkurrentin war Julia Tymoschenko. Sie hääte ihn gerne 2019 nach den Präsidentschaftswahlen abgelöst. Nun musst er sich Wolodymyr Selenskyj geschlagen geben. In Schwerin leben etwa 850 Ukrainer und Ukrainerinnen. Wie zuhause auch sprechen sie fast alle Ukrainisch und Russisch oder eine Mischform, genannt Surschyk, und einige unter ihnen auch eine weitere lokale Sprache.