Mit zwei Koffern machen sie sich auf den Weg Viktor Micheilis aus Russland
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Seit 8 Jahren ist das Büro mit dem Ladenfenster der Arbeitsplatz von Viktor Micheilis. Als Wahlkreismitarbeiter von Henning Foerster, Mitglied des Landtags, ist er Ansprechpartner in der Stadt. „Die Arbeit macht mir viel Spaß. Termine für Henning machen, Besuche von Mitbürgern im Landtag organisieren, die Öffentlichkeitsarbeit und vieles mehr. Die Aufgaben sind vielseitig. Ich kann hier meine politischen Überzeugungen mit meiner täglichen Arbeit verbinden. Das ist toll.“, sagt Micheilis, der aus Russland nach Schwerin gekommen ist.
„Ich bin in einem deutschen Dorf geboren. Saratowka liegt in der Altai Region in Russland. Während des Stalinismus wurden Menschen vieler Völker hierher verfrachtet. In den Nachbardörfern lebten Russen, Tschetschenen, Ukrainer und viele andere.“, erzählt Micheilis. So auch die Familie seiner Mutter, die nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Sowjetunion 1941 aus der Wolga-Region umgesiedelt wurde.
„Meine Großmütter auf dem Dorf haben Deutsch gesprochen, aber die Amtssprache war Russisch. In den Kindergarten kam ich nach unserem Umzug in die nahegelegene Stadt Rubtzowsk. Dort hat auch meine Mutter gearbeitet. In der Schule habe ich das Deutsche dann völlig vergessen.“ Die Familie wohnt zunächst gemeinsam mit einer Tante in einer Baracke, so einer Art Reihenhaus und zieht später in eine Neubauwohnung. „Kraftfahrer werden, das war der Traum meines Vaters. Im Dorf gab es nur ein Auto. Mit dem hat er den Kolchose-Brigadier gefahren. Er war LKW- und Busfahrer, hat das Abend-gymnasium besucht und wurde nach dem Fernstudium Lehrer an einer Berufsschule. Als wir Anfang 1996 nach Schwerin gekommen sind, da war mein Vater 55, so alt wie ich heute.“ Viktor Micheilis und seine Eltern gehören in die Gruppe der „Spätaussiedler“. So werden Menschen genannt, die deutscher Abstammung sind und nach dem 1. Januar 1993 aus einem Staat des „Ostblocks“ in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen sind. Davor wurde von „Aussiedlern“ gesprochen. Bis Ende der 1980er Jahre kamen sie oft aus Polen und Rumänien, seit 1990 meist aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. „So ganz freiwillig macht das keiner. Das war ein Prozess über einige Jahre. Unsere Lebenssituation wurde rapide schlechter. Dazu kommt, dass deine Verwandtschaft schmilzt und irgendwann stehst du dann fast alleine da. Und dann merkst du, dass Blut dicker als Wasser ist und gehst auch.“, sagt Micheilis. „Du musstest ja nachweisen, dass du Deutscher bist. Welche Gerichte werden zuhause gekocht? Welche Feste gefeiert? Welche Sprache wird gesprochen? Bei mir hat das nicht gleich geklappt. In meinem Ausweis stand zwar als Nationalität „Deutsch“, aber bei meiner Mutter fälschlicherweise „Russisch“ und das mussten wir ändern lassen.“, so Micheilis.
Als junger Mann möchte Viktor Micheilis gerne Militärpilot werden, wird aber nicht zur Ausbildung zugelassen. Stattdessen besucht er die Technische Hochschule in Novosibirsk und absolviert dort auch eine militärische Ausbildung. „Da habe ich gemerkt, das Militär ist nichts für mich. Da konnte mich auch die Aussicht auf eine bessere Wohnung nicht überzeugen.“ Während des Studiums wird er Vater einer Tochter, heiratet und beendet das Studium der Elektrotechnik 1987. „Man hat geheiratet, weil es damals üblich war. Der tiefere Sinn einer Liebesbeziehung war kein echtes Thema. In der DDR wurde oft geheiratet, um an eine Wohnung zu kommen. In der Sowjetunion funktionierte das nicht. Wir haben mit ihren Eltern zusammengelebt.“
Für den ersten Job wird er einer Fabrik für Radiotechnik zugewiesen. „Die Fabrik gibt es heute nicht mehr. Es gab viel Industrie damals. Heute sind das alles Ruinen an der Grenze zu Kasachstan.“ Als Ingenieur arbeitet er später für die Telekom Altai.
Scheidung. Erneute Heirat. Jobwechsel. Warten auf die Ausreise. „Wir haben nie etwas angeschafft und für die Ausreise gespart. Irgendwann haben wir die Geduld verloren und gesagt, jetzt leben wir erstmal hier.“, sagt Micheilis. „An einem Freitag sind wir nach Novosibirsk gefahren und haben einen Video-Player gekauft und am Samstag kam der Aufnahmebescheid für Deutschland. – Da haben wir den Player gleich wieder verkauft.“
Mit zwei Koffern machen er und seine Frau Irina sich auf den Weg. „Was sollst du mitnehmen? In einem Koffer hatten wir ein Topf-Set von Zepter.“, lacht Micheilis. „Das gibt es heute noch.“ Aus dem Übergangslager in Bramsche geht es nach Schwerin. „Wir standen am Bahnhof. Es war kalt und alles war grau. Meine Schwester hat geweint. Doch das hat sich schnell geändert. Wir hatten zwar wenig und bekamen auch nicht mehr als andere, aber wir hatten eine Wohnung, Kleidung, konnten uns viele Dinge leisten. In Russland haben wir hart gearbeitet und es reichte nur für das Nötigste. Das war hier wirklich anders.“
In der „Zukunftswerkstatt“ und bei der „SBW Aus- und Fortbildung GmbH“ fasst Micheilis beruflich Fuß. Irgendwann wird er arbeitslos. „Das war schlimm. Du verlierst deinen sozialen Status. Jeder Tag ist wie der andere. Du verfällst in eine Starre. Da musste ich wieder raus.“, sagt er. Mit seiner Frau gründet er in der Schlossstraße den „russischen Laden Magazin-Samowar“, arbeitet für RegioVision und kommt wieder auf die Beine.
In seiner Freizeit spielt Micheilis Eishockey und macht erfolgreich Aikido. Seit 2006 fährt Viktor Micheilis jedes Jahr zur Meditation. „Das ist für mich, wie eine Gitarre neu stimmen. Für 10 Tage hast du da gut mit dir zu tun und ich komme jedes Jahr mit einer neuen Erkenntnis über mich selbst zurück. Ich weiß nicht, was richtig oder falsch ist, lautet eine. Und dass es für mich wichtig ist, mich für Gerechtigkeit einzusetzen, lautet eine andere.“
Länderinfo Russland
Das Staatsgebiet der Russischen Föderation erstreckt sich über Osteuropa und Nordasien. Flächenmäßig ist es der größte Staat der Erde. Rund 142 Millionen Menschen leben hier, allein in der Hauptstadt Moskau sind es gut 12 Millionen.